Eiger-Nordwand:Der launische Berg

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Licht und Schatten an der Eiger-Nordwand: Bergführer haben ein gespaltenes Verhältnis zu dem Dreitausender. Selbst erfahrene Bergsteiger finden hier den Tod.

Max Bosse

Murmeltiere pfeifen, auf den Wiesen blüht Enzian, weiter unten grasen Kühe. Alle halbe Stunde durchquert ein Zug die Idylle des Berner Oberlands. Im Tal zur Linken liegt sonnenbeschienen das Dorf Grindelwald, zur Rechten erhebt sich eine 1800 Meter hohe Wand aus Fels und Eis.

Allein zwischen 1935 und 1938 kamen neun Bergsteiger beim Versuch der Erstbegehung der Nordwand ums Leben. (Foto: Foto: AFP)

Nichts deutet darauf hin, dass am Abend Blitze um den Gipfel des Eiger zucken werden. Widersprüche kennzeichnen den 3975 Meter hohen Berg im Berner Oberland. So zerrissen wie sein Gletscher, so gespalten ist auch das Verhältnis der Grindelwalder Bergführer zum Eiger und seinen Bezwingern.

"Der Eiger ist unser Kapital", sagt der Leiter der Bergschule Johann Kaufmann. 4200 Einwohner zählt das Schweizer Dorf und 11.500 Betten. Die Touristen kommen, um den Mythos "Eiger" zumindest durch das Fernglas zu erleben. Sie wollen den Berg sehen, über dessen Tragödien mehr als hundert Filme gedreht wurden.

Allein zwischen 1935 und 1938 kamen neun Bergsteiger beim Versuch der Erstbegehung der Nordwand ums Leben. Ehrgeiz und Besessenheit trieben die besten Bergsteiger der Welt an den Fuß des Eigers.

Lebensgefahr vor allem im Sommer

Die Grindelwalder beteiligten sich nicht an dem Spiel mit dem Berg. "Die machten so ein Zeug nicht", sagt Kaufmann. Oft genug mussten die einheimischen Bergführer ihr Leben riskieren, um Menschen zu retten und Leichen zu bergen.

Bis heute ist der Respekt, den sie dem Eiger entgegenbringen ungebrochen. Gerade unter den älteren Bergführern aus Grindelwald finden sich einige, die die Nordwand noch nie durchstiegen haben. "Wir führen da auch keine Gäste durch", sagt Kaufmann. Zu unberechenbar ist das Risiko. "Im Sommer herrscht fast immer Lebensgefahr durch Steinschlag", erklärt der Bergführer.

Erreichten die vier Erstbezwinger Anderl Heckmair, Wiggerl Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek den Gipfel im Jahr 1938 noch am 24.Juli, so finden die Begehungen heute vorwiegend im Januar und Februar statt. Angespornt durch die jüngsten Speedrekorde wächst das Interesse. Durchschnittlich 60 Seilschaften versuchen sich jährlich.

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Bemuttern statt führen

"Ob die Begehung funktioniert, sieht man erst in der Wand", sagt Roger Schäli. Er ist einer von nur drei Schweizer Bergführern, die mit Gästen durch die Nordwand steigen. Führen sei das falsche Wort, findet Schäli. Er sagt lieber "bemuttern".

Bergsteigerische Fähigkeiten, Fitness und mentale Stärke müssen bei beiden Seilpartnern ausgesprochen hoch sein. Etliche Routen führen durch die Nordflanke des Eigers, doch noch heute wird meist die Route des Erstbesteigers Heckmair genutzt. "Sie ist die Lösung", schwärmt Schäli. Sie leite "genial an heiklen Wandpassagen vorbei" und gehe durch das Zentrum der Wand.

Heute wie früher kommen die Eiger-Aspiranten aus aller Welt. "Und mit begrenzter Zeit", betont Kaufmann. Dabei brauche es für die Nordwand vor allem Geduld. Deshalb verunglücken auch erfahrene Bergsteiger. "Du willst retten, aber letztlich bringt man sich selbst in Gefahr", sagt Johann Kaufmann.

Dessen Namensvetter Peter Kaufmann trug 1937 den gestürzten Italiener Giuseppe Pirovano auf den Schultern den Mittellegigrat entlang bis zur Eisenbahnstation. Heute sind Rettungsaktionen dank Helikopter einfacher, aber aufgrund des unbeständigen Wetters und der vielen Überhänge weiterhin riskant.

Die Zeiten, als Einheimische sich gegen die "Fremden" wehrten und Heinrich Harrer das Motorrad klauten, sind jedoch vorbei. Mittlerweile steht das Zweirad im Heimatmuseum und die Touristen kommen zu Tausenden nach Grindelwald. Das reine Naturschauspiel ist längst nicht mehr genug. Laut Marina Tonn vom Tourismusverband werden "neue Erlebnisse" geschaffen, der Ort zur "Ganzjahresdestination" ausgebaut.

Was einzigartig bleibt, ist der launische Eiger. Obwohl das nächtliche Gewitter bei Sonnenaufgang einem strahlend blauen Himmel gewichen ist, verhüllen zum Betriebsstart der Jungfraujochbahn wenig später schon wieder Wolken den Gipfel.

600.000 Gäste pro Saison fahren mit der Bahn, für die zu Beginn des 20.Jahrhunderts ein zwölf Kilometer langer Tunnel durch den Eiger geschlagen worden war. Oben, auf 3454 Metern, fällt Schnee. Also fotografieren sich Japaner in kurzer Hose und Minirock vor den im Inneren aufgehängten Panoramabildern.

© SZ vom 10.7.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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