Die Kunst des Schenkens:Immer dasselbe Theater

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Vorsicht mit Geschenken: Sie sagen einiges über die Beziehung zwischen zwei Menschen aus. Der Soziologie-Professor Helmuth Berking über das alljährliche Ritual unterm Weihnachtsbaum.

Ulrike Bretz

sueddeutsche.de: Herr Berking, haben Sie schon alle Weihnachtsgeschenke zusammen?

Der Tanz um den Weihnachtsbaum: Jedes Jahr das gleiche Ritual, wenn es um Geschenke geht. (Foto: Foto: Photocase/oli_ok)

Helmuth Berking: Noch kein einziges. Um ein Geschenk zu suchen, braucht man ein bisschen Zeit, ein bisschen Muße und vor allem Phantasie. Bei mir sieht das dann so aus, dass ich kurz vor Weihnachten zwei bis drei Tage durch die Stadt flaniere, schaue und viel imaginiere.

sueddeutsche.de: Was imaginieren Sie denn?

Berking: Es kommt darauf an, für wen das Geschenk ist. Sucht man etwas für den geliebten Menschen, sollte es schon etwas Besonderes sein. Geschenke sind Gefühle zum Anfassen. Da kann man nicht mit Konventionellem kommen, wie einer Flasche Wein oder einem Blumenstrauß.

sueddeutsche.de: Und woher weiß man, über was der Geliebte sich freut?

Berking: Ehrlich gesagt: Wenn man nicht mehr die Phantasie dafür aufbringen kann, was den anderen beglückt, dann kann man die Beziehung gleich beenden. Spätestens dann, wenn er ihr jedes Jahr Socken und sie ihm jedes Jahr eine Krawatte schenkt, ist es Zeit, über die Partnerschaft nachzudenken.

sueddeutsche.de: Überhöhen Sie die Bedeutung eines Weihnachtsgeschenks da nicht zu sehr?

Berking: Sicher nicht. Geschenke sind Beziehungszeichen. In dem Gegenstand drückt sich aus, wie man zueinander steht. Es gibt keine schlechten Geschenke, es gibt nur schlechte Partnerschaften.

sueddeutsche.de: Sollte man also möglichst teure Geschenke kaufen, um Wertschätzung auszudrücken?

Berking: Nein, es kommt überhaupt nicht auf den Preis an. Auch etwas, das kein oder wenig Geld kostet, kann sehr wertvoll werden, wenn es von einem lieben Menschen überreicht wird - etwa ein Foto. Mit einem Präsent tauschen wir ja nicht nur materielle Waren aus, sondern wir schenken dem anderen freiwillig Aufmerksamkeit, Liebe und Sympathie. Man kann mit einem Geschenk aber genausogut Verachtung ausdrücken.

sueddeutsche.de: Verachtung?

Berking: Das passiert, wenn man sich im Geschenk vergreift. Wenn es aus irgendeinem Grund unpassend oder banal erscheint, wenn man etwas schenkt, was beim anderen Fragen aufwirft.

sueddeutsche.de: Wie sollte man denn reagieren, wenn jemand total danebengreift - ehrlich sein oder Freude heucheln?

Berking: Man hat im Grunde drei Möglichkeiten. Entweder man rettet die Situation, indem man sich artig bedankt und sich nichts anmerken lässt. Dann bekommt man im nächsten Jahr unter Umständen wieder so ein Geschenk. Man kann sich aber auch bedanken und darauf hinweisen, dass das Geschenk vielleicht ein wenig unpassend ist, man aber schätzt, dass der andere sich Mühe gegeben hat. Oder man wagt einen Konflikt, weist die Gabe zurück - und zerstört das gesamte Ritual.

sueddeutsche.de: Ist es sinnvoll, vorher genau zu sagen, was man sich wünscht?

Berking: Das hängt von der Qualität der Beziehung ab. Für Kinder wäre es zu langweilig, wenn sie ihr Geschenk vorher kennen. Für sie ist Weihnachten magisch. Aber für Erwachsene ist es ohnehin ein hochritualisiertes Fest, bei dem es wenige Überraschungen gibt.

sueddeutsche.de: Wie sieht dieses Ritual genau aus?

Berking: Es ist vergleichbar mit einem Theaterstück. Man steht auf der Bühne und jeder hat eine feste Rolle. Der eine ist der Geber, der andere der Nehmer. Es gehört dazu, dass der Nehmer zuerst seine Überraschung darüber zeigt, überhaupt beschenkt zu werden. Dann packt er langsam aus und stellt dabei Überlegungen an, was wohl im Päckchen sein könnte. Hat er das Geschenk ausgewickelt, zeigt er erneut seine Überraschung und bedankt sich. Damit ist das Ritual abgeschlossen, und man geht zum normalen Alltag über.

sueddeutsche.de: Ist das nicht ein wenig albern?

Berking: Kann schon sein - aber man kommt nicht drumherum.

sueddeutsche.de: "Wir schenken uns dieses Jahr nichts" - warum klappt das nie?

Berking: Es gibt immer jemanden, der sich nicht dran hält. Vielleicht, weil er Angst hat vor einer peinlichen Situation - wer will schon gerne als Geizkragen angesehen werden?

sueddeutsche.de: Ist Geben seliger als Nehmen?

Berking: Geben erzeugt ein Gefühl von Überlegenheit. Solange bis ein Gegengeschenk kommt, fühlt sich der Geber zugleich als Gläubiger. Wer nimmt, fühlt sich als Schuldner. Aber beide stehen auf der Bühne und sind für die Beobachtung freigegeben. Es ist ein Impressionen-Management auf beiden Seiten. Es geht nicht nur darum, wie der Geschenkte reagiert: Das Geschenk sagt ja auch viel über den Gebenden aus - ob er originell ist, großzügig oder geizig. Man gibt eben auch einen Teil von sich. Und wenn es gut läuft, wird er belohnt: Mit dem Glanz in den Augen des anderen.

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