Clubszene:Aufbau West

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Der "Tresor"-Erfinder Dimitri Hegemann hat einen Traum: Berliner Clubkultur nach Detroit zu bringen.

Von Verena Mayer

Und als er dann in diesem total verfallenen Hochhaus in Detroit stand, das aus der Stadt ragt wie ein Gerippe, zwischen zertrümmerten Rohren und herausgebrochenen Fenstern - da hat er erst mal tief durchgeatmet. Denn in diesem Moment in Detroit, sagt der Berliner Clubbetreiber Dimitri Hegemann, habe er gewusst: "Das ist der Berlin-Spirit." Das, wonach er so lange gesucht hat.

Dimitri Hegemann weiß, wovon er redet, wenn er "Berlin-Spirit" sagt. Hegemann hat eine Berliner Institution gegründet, den "Tresor", einen der berühmtesten Technoclubs der Welt. In einem kaputten Depotraum unter der Erde, mit aufgebrochenen Schließfächern an den Wänden. Der Tresor wurde über Deutschland hinaus zum Symbol für das raue, unfertige und aufregende Berlin, in dem alles möglich ist und alles cool. Das ist allerdings schon eine Weile her, 24 Jahre. Hegemann, 60, ist auch nicht mehr der Jüngste. Sein Haar ist silberweiß, in seinen Sätzen schwingt die Melancholie des Alters mit. Der einstige Pionier der Berliner Szene gilt inzwischen als Berliner Veteran.

Doch Dimitri Hegemann hat nicht vor, sich zur Ruhe zu setzen. Im Gegenteil. Zum Gespräch in Berlin trägt er schwarze Nerd-Brille und Chucks, beim Reden kommt er mit dem Kopf gerne nahe an einen heran, so wie es Leute tun, die viel Zeit in lauten Clubs verbringen. Hegemann hat jetzt das amerikanische Detroit als Lebensaufgabe entdeckt. Zusammen mit einem Dutzend anderer Berliner aus dem Kulturbetrieb will er in Detroit eine Szene aufbauen, mit Musik, Clubs, Kunst und Projekten. "Detroit-Berlin-Connection" heißt die Idee.

Anfang der Neunziger brachte er den Techno nach Berlin. Nun soll die Party weitergehen

Detroit im Bundesstaat Michigan. Von sehr vielen Orten der Welt aus gesehen steht diese Stadt für Niedergang und Krise. Für das, was bleibt, wenn ein Ort seine Lebensgrundlage verliert, in diesem Fall eine blühende Autoindustrie. Nämlich Brachen, Ruinen, Verfall und Leute, die nichts zu verlieren haben. Aus Berliner Sicht ist das allerdings genau richtig. Ein Ort voller Trümmer und Möglichkeiten. Eine Art morbides Paradies, ganz so wie Berlin kurz nach Mauerfall. "Am liebsten würde ich sofort hinziehen", sagt Dimitri Hegemann.

Er ist erst seit ein paar Tagen wieder zurück aus Detroit und noch nicht ganz heraus aus dem Englischen. Er sagt Dinge wie "Wir müssen unsere Experience woanders hintragen" oder "Da kann man so viel developpen". Er sieht das alles schon vor sich in Detroit. Leute, die in den leer stehenden Gebäuden und auseinanderfallenden Fabriken Galerien und Clubs aufziehen, Musik machen, Partys feiern. Einen Goldrausch könne das auslösen, sagt Hegemann. "Detroit kann das neue Berlin werden."

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(Foto: Nicolo Lanfranchi/laif)

In Detroit gab es vor der Krise eine erfolgreiche Industrie, vor allem die Automobilbranche boomte.

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(Foto: Michael S. Williamson/Getty Images)

Heute kann man nur noch die Ruinen betrachten.

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(Foto: Michael S. Williamson/Getty Images)

In diesen Ruinen möchte der Berliner Dimitri Hegemann gerne Clubs etablieren.

Aber noch ist er an diesem warmen Mainachmittag in Berlin und läuft durch das ehemalige Heizkraftwerk Mitte. Früher standen hier Turbinen, jetzt ist das eine riesige leere Halle mit freigelegten Betonpfeilern. Von oben fällt schräg ein Lichtstrahl ins Dunkel. "Wunderschön, nicht wahr? Ein magischer Space", sagt Hegemann und atmet tief durch. So, als fühle er sich gerade an die Ruinen von Detroit erinnert. Hegemann betreibt hier den Veranstaltungsort "Kraftwerk Berlin", draußen wuseln Leute herum und bauen die Bühne für eine Fashionshow auf.

Hegemann sperrt die Tür zu einem langen dunklen Gang auf, der in seinen Technoclub führt. Der Club heißt noch immer Tresor, und da sind noch immer die kaputten Schließfächer und die tonnenschweren Stahltüren. Nur, dass sonst alles neu ist. Die Leute, die hier tanzen, sind junge Touristen, man hört viel Spanisch. Hegemann hat die Sachen aus dem alten Tresor hierher verfrachtet, sein legendärer Club an der Leipziger Straße ist seit 2005 abgerissen. An seiner Stelle steht jetzt ein riesiges Shopping-Center. Mall of Berlin statt Berlin-Spirit, Kommerz statt Clubkultur.

Hegemann holt ein Glas Honig aus einem Regal. Er stammt von den 120 000 Bienen auf dem Dach, "Techno-Honig", sagt Hegemann. Das ist einerseits nicht ungewöhnlich in Berlin. Imkern hat sich längst als Hobby für bewusst lebende Großstadtbewohner durchgesetzt, Bienen sind das neue Yoga. Andererseits: Honigmachen im Technoclub? Der Tresor ist auch ein gutes Symbol dafür, wohin sich das wilde Berliner Nachtleben entwickelt hat.

Hegemann will nicht zurückblicken auf die alten Zeiten. Er ist seit den Siebzigern in Berlin, damals hieß er noch Dietmar-Maria Hegemann, und wie so viele kam er, weil ihm in der westdeutschen Provinz die Decke auf den Kopf gefallen war. Hegemann spielte Bass in einer New-Wave-Band, zog einen illegalen Club auf und ließ die Einstürzenden Neubauten auftreten. Aber vor allem war er es, der Anfang der Neunziger den Techno in die Stadt brachte. DJs, die Tanith, Jonzon, Rok, Terrible, DJ Clé, Mitja Prinz oder Wolle XDP hießen und Berlins Ruf als internationale Partyhauptstadt begründeten.

Nun steht Detroit an, das nächste große Ding. Hegemann klappt sein Macbook auf und zeigt Fotos von der Stadt. Halb zerfallene Fabriken, Hallen mit verrosteten Rohren, heruntergerissene Fassaden, Hochhäuser, in denen jedes einzelne Fenster zerbrochen ist. Hegemann zeigt sie mit so glänzenden Augen wie andere ältere Männer Bilder ihrer Enkelkinder. Klickt zerstörte Ballsäle durch und sagt: "Wunderbar, das muss man alles genauso lassen, vielleicht einmal mit dem Kärcher drübergehen." Tausende solcher Objekte hat er in Detroit gezählt, "die kann man alle zwischennutzen".

Der Berliner Dimitri Hegemann. (Foto: Regina Schmeken)

Sein Blick fällt auf einen kaputten hellen Klotz. Das Gebäude Fisher Body 21, in dem einst Autokarosserien gebaut wurden. Und jener Ort von Detroit, an dem Hegemann den Berlin-Spirit so stark verspürte. Wenn es nach den Leuten von der Detroit-Berlin-Connection geht, soll dort ein Hotel mit hundert Betten entstehen, dazu Konferenz- und Arbeitsräume, Galerien und ein Club. Ein Leuchtturmprojekt, das andere nach sich ziehen würde. Es sei eigentlich relativ einfach, glaubt Hegemann. Man müsse die Politik in Detroit nur dazu bringen, die Sperrstunde abzuschaffen, so wie in Berlin, wo auch erst alles durch das unbegrenzte Nachtleben in Gang gekommen sei. Wenn eine Stadt erst mal nachts belebt sei, ergebe sich irgendwann der Rest, ein Gefühl von Sicherheit, Tourismus, wirtschaftlicher Entwicklung.

Und warum tut er sich das an, in einem Alter, in dem andere auf Kreuzfahrt gehen? Hegemann sagt, die besten DJs, die er in den Neunzigern nach Berlin holte, waren aus Detroit. Leute wie Jeff Mills, Juan Atkins, Robert Hood oder DJ Rolando, sie haben damals den Sound von Berlin geprägt, aber sie hatten nie eine Lebensgrundlage in Detroit. Für Berlin sei es jetzt, da die Stadt boome, an der Zeit, "etwas zurückzugeben", sagt Hegemann. Eine Art Entwicklungshilfe also. Nicht USA for Africa, sondern Berlin for Detroit. Und sich wieder ein bisschen jung und wild fühlen, das will Hegemann wahrscheinlich auch.

Was wollen die Bürger von Detroit eigentlich? Und wie finden sie die Berlin-Romantik?

Und wie finden die Leute in Detroit das? Gut, sagt Hegemann. Er habe Präsentationen vor 400 Leuten gehabt, demnächst komme eine Delegation aus Detroit nach Berlin. Alle würden sich freuen, dass da Europäer mit verrückten Ideen ankommen und nicht der x-te Immobilienentwickler mit Projekten vom Reißbrett. Andere sind skeptischer. Jack Nicas, ein Journalist vom Wall Street Journal, hat in Detroit Stimmen von Maklern, Wirtschaftsleuten, Musikproduzenten gesammelt. Sie wiesen auf Probleme mit Visa und Arbeitsgenehmigungen hin und darauf, dass man in der Stadt möglicherweise andere Sorgen habe. Man müsse "die romantische Idee, die es von Detroit gibt, damit in Einklang bringen, was die Bürger hier wollen", wird ein Unternehmer zitiert. Und das seien vor allem Jobs.

Der Berliner Dimitri Hegemann glaubt trotzdem an seinen amerikanischen Traum. Dass der Berlin-Spirit eines Tages wieder auferstehen und etwas Großes in Gang setzen kann. Im Gebäude Fisher Body 21 in Detroit sieht es zumindest schon mal nicht danach aus, als könnte man auf dem kaputten Dach Bienen züchten.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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