Burgen:Vergiss Mittelerde!

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Da verblasst jede Filmkulisse vor Neid: An den Ufern des Rheins reiht sich eine Burg an die andere. Der Grund für die Bauwut ist allerdings wenig ritterlich.

Von Martin Bernstein

Wer mit dem Zug, dem Auto oder vielleicht sogar mit dem Schiff zwischen Bingen und Koblenz am Rhein unterwegs ist, kommt schnell ins Staunen: so viele Burgen! Etwa vierzig dieser Wehranlagen gab es im Mittelalter auf der kurzen Strecke von nur 67 Kilometern. Manche Burgen thronen hoch über den Weinbergen am Hang, andere sehen aus, als hätten sie die Häuser kleiner Hafenorte um sich geschart, manche stehen sich drohend gegenüber - und ein paar wurden sogar direkt ins Wasser gebaut. Aber warum gab und gibt es am Rhein überhaupt so viele Burgen?

Dass in den Burgen Ritter wohnten, weiß jedes Kind. Aber so viele Ritter - und ausgerechnet am Rhein? Die Antwort hat erst einmal ganz wenig mit Turnieren, Minnesängern oder Burgfräulein zu tun. Es ging, wie so oft, ums Geld. Denn das war am Rhein zu Hause - oder besser gesagt: Es war dort unterwegs. Eisen- und Autobahnen gab es vor 700, 800 Jahren ja noch nicht. Und die wenigen Straßen waren oft unbefestigte Wege, schlammig, holprig, schwer zu befahren. Reisen dauerten auf ihnen oft sehr lange, vor allem, wenn man Gepäck dabeihatte. Und das hatten die Kaufleute im Mittelalter. Die Menschen im Süden wollten zum Beispiel Stoffe haben, die in den heutigen Niederlanden und Belgien (die Gegend hieß damals Flandern) hergestellt wurden. Und die Menschen im Norden und Osten Europas wollten Wein, der bei ihnen nicht wuchs und der in großen Fässern aus dem Süden gebracht werden musste. Am schnellsten ging dieser Transport nicht auf Ochsenkarren oder Pferdefuhrwerken, sondern auf Schiffen. Durch den Handel auf dem Rhein wurden die Städte reich. Und nicht nur die Städte, sondern alle, die entlang des Rheins ein Herrschaftsgebiet hatten - und sei es noch so klein. Und das waren viele.

Ein Deutschland, so wie wir es kennen, gab es im Mittelalter noch nicht. Es gab zwar einen König, der sich manchmal sogar Kaiser nennen durfte. Aber das eigentliche Sagen hatten viele Fürsten, die das Reich unter sich aufgeteilt hatten. Die sieben wichtigsten von ihnen durften den König wählen. Allein vier von ihnen besaßen jeweils ein Stück Land am Rhein. Auch der König selbst. Und dazu noch Grafen, Städte, Ritter. Sie alle hatten ihren eigenen Herrschaftsbereich mit eigenen Grenzen und Regeln. Und jeder wollte etwas von dem Reichtum abhaben, der durch den Handel zwischen Norden und Süden auf dem Rhein unterwegs war.

Die Schiffsleute und Händler mussten immer wieder Halt machen, um Zölle zu bezahlen - mehr als zwanzig Mal. So viele Grenzen gab es damals am Rhein. Und damit auch keiner das Anlegen vergaß, erinnerten ihn mächtige Burgen daran, wer in diesem Gebiet gerade das Sagen hatte. Andere Burgen sollten dann die Gebiete gegenüber den Nachbarn sichern. Und wieder andere sollten zeigen: Schaut her, wie reich und mächtig ich bin.

Diese Burg wacht in 110 Metern Höhe über den Rhein. Im Jahr 1504 wurde sie erfolglos belagert, vermutlich heißt sie deshalb Gutenfels. (Foto: Christian O. Bruch/laif)
© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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