Auf der Suche nach dem Glück:Glücksritter

Lesezeit: 5 min

In "The Happy Film" zeigt der Grafikdesigner Stefan Sagmeister schonungslos, wie es ihm dabei ergangen ist.

Von Kathleen Hildebrand

Nein, unglücklich sieht er nicht aus, dieser große schlanke Mann im schmalen Mantel, der da die Lobby des Hotel de Rome am Berliner Bebelplatz betritt. Eher im Gegenteil: Stefan Sagmeister lacht ein breites Lachen, federt rüber zur Rezeption und freut sich dort über den überfreundlichen Rezeptionisten: Man sei wirklich sehr froh, Herrn Sagmeister beherbergen zu dürfen. Hinter der nächsten Ecke angekommen grinst Sagmeister fröhlich. Er sagt, tiefe Stimme, gemütlicher Vorarlberger Dialekt: "Ich weiß nicht, ob er wirklich wusste, wer ich bin, oder ob er sehr überzeugend so getan hat. Aber das ist ja auch egal."

So klingt keiner, der darauf wartet, endlich mal einen Funken Glück zu empfinden. Und doch geht es in "The Happy Film", seinem erstem Filmprojekt, das jetzt in den Kinos läuft, genau darum: Wie der Grafikdesigner Stefan Sagmeister versucht, glücklich zu werden. Darin sieht man den mittlerweile 54-Jährigen drei nach wissenschaftlichen Untersuchungen vielversprechende Techniken ausprobieren. Jeweils drei Monate lang versucht er, durch Meditation unangenehme Gedanken zu vermeiden, geht zur Verhaltenstherapie, um unglücklich machende Denk- und Verhaltensweisen zu verändern, und nimmt, Versuch Nummer drei, Antidepressiva. Macht man so etwas ganz ohne eigenen Leidensdruck?

Normalerweise würde Stefan Sagmeister niemals fremde Frauen auf der Straße ansprechen und ihnen eine Gerbera schenken. (Foto: Mindjazz Pictures)

"Die Produktion dieses Films war das am unglücklich machendste Projekt, an dem ich je beteiligt war."

Stefan Sagmeister ist in seiner Branche berühmt. Anfang der Neunzigerjahre zog er von Österreich nach New York, gründete ein Designstudio, das seinen Namen trägt. Eine frühe Arbeit, ein Plakat, für das er sich den Text in die eigene Haut ritzte, machte ihn bekannt. Berühmt wurde er durch Plattencover, die er für Lou Reed gestaltete, für die Rolling Stones und Aerosmith. Neben zwei Grammys, dem wichtigsten Musikpreis der USA, für seine Plattencover, hat er praktisch jeden wichtigen Designpreis der Welt gewonnen. Er wohnt, man sieht das im Film, in einem hübschen Loft in Manhattan. Manchmal sitzt er auf seiner kleinen Dachterrasse und blickt auf das Meer von Wolkenkratzern. Ziemlich cooles Leben, denkt man da, aber man weiß ja auch: Das ist es letztlich nicht, das wahre Glück. "Menschen sind glücklich", sagt der Psychologe und Glücksforscher Jonathan Haidt im Film, "wenn sie gute Beziehungen führen. Zu anderen Menschen, zu ihrer Arbeit und zu etwas, das größer ist als sie selbst".

In der ersten Szene vom "Happy Film" sieht man Stefan Sagmeister in Winterkleidung über einen verschneiten Hügel stolpern. Er ist an eine riesige Traube aus 6000 gelben Luftballons gegurtet. In den Luftballons ist Helium. Sagmeister will daran in den Himmel aufsteigen. Es soll das Schlussbild des Films werden, dazu festliche Musik. Aber so wird es nicht kommen. Stefan Sagmeister ist zu schwer für die Luftballons. Sie schleifen ihn ein paar Meter über den kalten Boden, dann gibt er auf. An seiner statt fliegt seine Freundin zehn Meter in die Luft und juchzt begeistert. Aus dem Off kommentiert Sagmeister die Szene seines Scheiterns: "Dass ich nicht in den blauen Himmel fliege, ergibt auch mehr Sinn."

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Also, Herr Sagmeister, war da was? Eine Krise? Er überlegt kurz, fummelt am Armband seiner Uhr herum. "Beim Beschluss, den Film zu machen, ist es mir sehr, sehr gut gegangen. Ich war im Sabbatical auf Bali." Alle sieben Jahre macht er ein Jahr Pause, aber eine produktive. Er lebt dann an einem fremden Ort, um auf neue Ideen zu kommen. Auf Bali hatte er sich damals Möbel ausgedacht, zusammengesetzt aus Buchstaben. Dann kam ihn sein bester Freund besuchen. Zu den Möbeln sagte der: Das sei ja ganz schön. "Aber mach doch lieber etwas, wovon die Leute wirklich etwas haben." Sagmeister dachte noch mal nach und kam auf die Idee mit dem Glück. Er wollte die Frage beantworten, ob und wie man seinen Geist darauf trainieren kann, glücklich zu sein.

Die Krise kam erst später. Kurz nach Drehbeginn trennte er sich von seiner langjährigen Freundin. Das Filmemachen war kompliziert, das Thema zu groß. "Ich hatte noch nie einen Film gemacht. Ich hatte keine Ahnung." Sein Co-Regisseur Hillman Curtis starb während der Dreharbeiten an einer schweren Krankheit. Mehrmals stand der Film kurz vor dem Aus. Es hat sieben Jahre gedauert, bis "The Happy Film" jetzt in die Kinos kommen konnte. "Ich würde sagen: Die Produktion dieses Films war das am unglücklich machendste Projekt, an dem ich je beteiligt war."

Aber für seinen Dokumentarfilm verlässt der Star-Designer schon mal seine Komfortzone und verkleidet sich als riesiger Luftballon. (Foto: Mindjazz Pictures)

An den drei Glücksstrategien, die Sagmeister im Film an sich ausprobiert, lag das nicht. Vom Meditieren in bewegungslosem Sitzen auf Bali bekommt er zwar höllische Rückenschmerzen, aber irgendwann fühlt sich sein Kopf tatsächlich freier an. Nur: Liegt das nicht vielleicht auch an der wunderschönen Umgebung, der freien Zeit, den neuen, exotischen Eindrücken? Und an der kurzen Liebesgeschichte, die er dort mit einer früheren Studentin erlebt? Der Psychologe und Glücksforscher Jonathan Haidt, der Sagmeister auf seiner Reise ins Glück wissenschaftlich betreut, ist skeptisch. Bali ist keine wissenschaftlich kontrollierbare Versuchsumgebung.

Auch die Verhaltenstherapie zu Hause in New York scheint erst einmal zu wirken: Sagmeister stellt sich der Scheu vor Konflikten, die seiner Zufriedenheit im Weg steht. Er zwingt sich, den Taxifahrer zu bitten, dass er das Radio leiser stellt, wenn es ihn stört, anstatt die laute Musik, wie sonst, still zu ertragen. Er schenkt fremden Frauen auf der Straße eine Gerbera. Das macht ihn zufriedener. Aber: Wieder verliebt er sich kurz nach Beginn des Experiments, diesmal in eine langjährige Bekannte aus Österreich. Die Liebe platzt jedes Mal hinein in seine Experimente, sobald sich die ersten Glückssymptome einstellen. Auch mit der Österreicherin wird es nichts. Und wieder zerstört der prompt folgende Liebeskummer die zarten Pflänzchen des Glücks.

Mal wird Sagmeister auch zum rosa Hasen. Hauptsache, es sieht originell aus. (Foto: Mindjazz Pictures)

Er nimmt Antidepressiva - und macht einer jungen Frau nach zehn Tagen einen Heiratsantrag

Das Antidepressiva-Experiment übertrifft in dieser Hinsicht alles. Der jungen Frau, die er in dieser Phase kennenlernt, macht Sagmeister nach zehn Tagen einen Heiratsantrag. Es ist die totale Euphorie. Die beiden lassen sich die Muttermale des jeweils anderen auf die Arme tätowieren: große Liebe, Grafikdesigner-Style. Aber: Als er die Medikamente absetzt, beginnt die Beziehung schnell zu bröckeln. Ein paar Wochen später sind die beiden kein Paar mehr. Es könne sein, dass er mit dem Medikament im Blut nicht ganz er selbst gewesen sei, sagt ihm sein Pharmakologe im Film. "Aber das glaube ich nicht", sagt Sagmeister jetzt. "Das war schon ich selbst. Nur mit einem kleinen Turbolader dahinter, der wahrscheinlich zu stark eingestellt war." Warum er die Tabletten nicht weiter genommen hat? "Das habe ich mir ernsthaft überlegt. Aber ich wollte nicht weiter im Experimentmodus leben."

"The Happy Film" ist kein klassischer Dokumentarfilm geworden, der vor Statistiken und Grafiken strotzt. Sondern ein sehr persönlicher Film über einen Mann um die fünfzig, der schonungslos ehrlich zeigt, was seine Glücks- und Liebesexperimente mit ihm machen. Man sieht Stefan Sagmeister ekstatisch glücklich und sehr traurig. Mal rational, mal kindlich begeistert. Angezogen und nackt. Er bereut nicht, so wenig Distanz zu sich gelassen zu haben. "Überhaupt nicht", sagt er. Die Reaktionen der Zuschauer seien bisher nur positiv gewesen. Es scheint geklappt zu haben: "Die Menschen haben etwas davon."

Sie lernen, gemeinsam mit Stefan Sagmeister, dass Meditieren, Therapie und Medizin durchaus wirken, aber doch nicht ausreichen, wenn man glücklich werden will. Und dass zu große Erwartungen, wie die, die Sagmeister selbst an die Liebe hat, dauerhaftes Glück verhindern. "Wenn man nichts erwartet, dann ist das, was funktioniert, super", sagt er. "Aber das, was nicht funktioniert, ist eh nicht so schlimm, weil ich das ja nicht anders erwartet habe." Die große, dauerhafte Liebe hat Stefan Sagmeister im Jahr nach der Filmproduktion noch nicht gefunden, auch wenn gerade etwas Neues in den Anfängen steht. Der "Happy Film" aber, so viel ist sicher: Der funktioniert.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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