Arbeiten in luftiger Höhe:Nach Salzburg, die Berge putzen

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Bergputzer sichern in Salzburg die Stadtberge - ein Knochenjob, der gleichzeitig mit Fensterputzen, Bergbau und Gartenarbeit am Steilhang vergleichbar ist. Trotzdem stellt sich an guten Tagen die Frage, warum nicht jeder Mensch auf der Welt Berge putzen will.

Von Cathrin Kahlweit

Es ist ein guter, ein geradezu hervorragender Tag zum Bergputzen, das kann man nicht anders sagen. Irgendwo im Wald pocht ein Specht, die Luft ist lau, der Wind weht nur schwach. Der Blick vom Mönchsberg ins Rund ist an einem solchen Tag ein besonderes Geschenk, rechts die Feste Hohensalzburg, schräg gegenüber der Kapuzinerberg, die Salzach blinkt in der Sonne, in der Getreidegasse drängen sich Passanten auf der Jagd nach Mozart und Mozartkugeln. Und am Fuße der Steilwand, entlang der Gstättengasse, sind sogar die Autofahrer und Radler wegen des schönen Wetters weniger mürrisch als gewöhnlich. Normalerweise meckern sie mehr, wenn sie an Straßensperren gestoppt werden, damit ihnen der Berg nicht auf den Kopf fällt.

Auch Ernestine war heute schon zu Besuch bei den Bergputzern; sie wird geduzt, weil das am Berg so üblich ist, auch wenn man sich hier nur am guten, alten Hausberg mitten in Salzburg trifft. Die agile alte Dame ist 84 und zuckerkrank, sie kommt jeden Tag zwei Mal hier herauf, schwatzt ein wenig, verteilt Süßigkeiten, die sie selbst wegen ihres Diabetes nicht essen darf, und marschiert weiter. Wie ein guter, grauhaariger Geist schwebt sie vorbei, noch ist sie fit genug. Ohne den Besuch der alten Dame wäre der Tag vielleicht ein kleines bisschen weniger perfekt. Aber sie war da. Warum also will nicht jeder Mensch auf der Welt Berge putzen?

"An schlechten Tagen manchmal eine Quälerei"

Helmut ist einer der mittlerweile 13 jungen Männer, die vom Kanal- und Gewässeramt eben dafür bezahlt werden. Er war mal Koch, dann Soldat auf dem Golan, dann Lagerarbeiter in einem Möbelhaus. Alles fad, im Vergleich. Jetzt hat er einen Beruf, von dem er selbst vorher noch nie gehört hatte, obwohl er Salzburger ist. Und den er so beschreibt: "An guten Tagen großartig, quasi bezahlter Sport, an schlechten Tagen manchmal eine Quälerei."

Bergputzen, das Sichern der Stadtberge, ist ein Knochenjob: eine Mischung aus Fensterputzen am Hochhaus, Bergbau in der Mine, Gartenarbeit am Steilhang, aus Mauern, Verputzen und Roden, aus Fräsen und Hacken und Betonieren. Gebüsch wird herausgerissen, die Stauden am Hang werden weggeschnitten, kiloschwere Steine aus der Steilwand herausgelöst und dann vom Fels hinabtransportiert. Und das Ganze, denn es ist ja nicht immer ein perfekter Tag, gern auch bei Wind und Wetter in enger Klettermontur, die Beine in 90 Grad abgewinkelt in den Fels gestemmt, einen Sack für kleinere Brocken am Gürtel, einen Abfahrhammer oder gleich einen Schremmhammer zum Aufbohren rissiger Felsen in der Hand, immer gegen die Schwerkraft.

Unglück im Jahr 1669

Manchmal müssen Eisen in den Berg gestemmt werden, um den Stein abzustützen; manchmal werden ganze Plattformen in der Höhe gebaut und Stützsysteme befestigt, damit nicht wieder geschieht, was am 16. Juli 1669 geschah: Ein Felssturz am Mönchsberg begrub die Häuser an der Gstättengasse, Anwohner versuchten zu retten, was zu retten war. Doch der Fels brach und begrub nach den ersten Opfern auch die Helfer, 220 Menschen starben. Zwei Kirchen, 13 Häuser wurden zerstört, noch heute beklagt das eine kleine, verblasste Gedenktafel an der Ursulinenkirche.

Ein paar Jahrzehnte später wurden die Bergputzer zur Institution. Anfangs kontrollierten sie die Hausberge alle paar Monate, heute tun sie es 365 Tage im Jahr, und neuerdings pflegen sie die Wehranlagen gleich mit. 380.000 Quadratmeter Fels werden so rundherum gesichert, und wenn die Männer, die meisten ehemalige Maurer oder Zimmerer, hinten fertig sind, fangen sie vorn wieder an.

Denn Salzburg ist von Hausbergen, deren Hänge mitten in die Stadt hineinragen, geradezu umzingelt. Oder soll man besser sagen: Vor Hunderten von Jahren bauten unvorsichtige Menschen ihre kleinen Häuser in der erblühenden Residenzstadt leider so, dass sie direkt an den hohen Felsen kleben? Und nun erwarten deren Nachfahren von der Stadt, dass die alles dafür tut, dass nicht noch einmal der Himmel herunterstürzt auf Einheimische und Touristen?

Die wiederum finden das alles sehr aufregend. Mittlerweile sind Partieführer Martin und seine Truppe eine Touristenattraktion. Zuletzt hatte, im Alpenland Schweiz, am 1. April 2009 eine Kampagne für viel Aufsehen gesorgt: Dort suchte man Putzkolonnen für die Berge, sogenannte Felsenputzer, welche die von Vogelkot und Dreck verunreinigten Berge säubern sollten. Obwohl als Aprilscherz gemeint, war der Zuspruch so groß, dass später sogar echte Felsenputzer-Kurse angeboten wurden.

In Salzburg hingegen ist der vermeintliche Spaß harte Arbeit und Brauchtum zugleich. Und so staunen und fotografieren hier Urlaubsgäste und Wanderer, wie die Bergputzer in ihren Monturen mit gelbem Helm und Stiefeln, den Rücken zum Abgrund, oben am Nonnberg, am Kapuzinerberg, am Rainberg stehen und dann rückwärts Meter um Meter in die Tiefe hüpfen. Alte Kommandos, seit fast 300 Jahren in Gebrauch, geben der Sache einen urigen Anstrich: ,,Jager'' und ,,Hauser'' rufen die Männer, die als Abfahrer die Felswände der Stadt sichern, während oben die Seilhalter und unten im Tal die Bodenmänner sichern.

"Das geht ganz schön auf die Knochen"

Jager, Hauser und Brandauer, so hießen die ersten Bergputzer, die einst offiziell antraten - und so rufen die Abfahrer in ihre Walkie-Talkies ,,Jager'' oder ,,Hauser'', wenn sie weiter heruntergelassen werden wollen, und auch ,,Jager'' oder ,,Hauser'', wenn sie anhalten wollen. Der Brandauer ist ein weiterer Mann, der aber heute, da man gerne in kleinen Teams arbeitet, nur noch selten eingesetzt wird.

Woran man sieht, ob es bröselt oder kriselt im Berg? Gregor, der schon sechs Jahre dabei ist, hat ein paar Erfahrungswerte, die fast schon wie Hausrezepte klingen: faulendes Wurzelwerk, Ameisenstraßen quer über den Stein, und wenn man mit der Hand schon hineinfassen kann in die Risse, dann ist Gefahr im Verzug. Manchmal wird es romantisch, wenn im Fels plötzlich ein Nest hängt; Euleneier habe er mal gefunden, sagt Helmut, aber auch Enteneier. Und aufregend kann es auch mal sein - wenn etwa der Fels über dem Salzburger Tierpark Hellbrunn an der Reihe ist und man, unten angelangt, plötzlich im Wolfsgehege steht, ein paar Meter entfernt nur von dem - glücklicherweise friedlichen - Tier. Auch das sind dann gute Tage.

In der Sonne und aus sicherer Entfernung sieht das alles fast ein bisschen läppisch aus, mehr nach Abenteuerspielplatz als nach harter Fron, aber ,,fast keiner geht hier erst mit 65 in Rente'', sagt Bergputzermeister Martin, ,,das geht ganz schön auf die Knochen.'' Und braucht es den ganzen Aufwand wirklich? Da kennt Chef Martin keine Zweifel: ,,Wenn ein Trumm herunterfällt auf jemanden da unten - dann steht der nicht mehr auf.''

© SZ vom 30.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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