Expertentipps zur Erziehung:So gelingt der Schulanfang

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Mit der Einschulung verwandeln sich erfahrene Kindergartenkinder in unsichere Erstklässler. Schulpsychologe Stefan Brandt gibt Tipps, wie Eltern den Start erleichtern - und was bei Problemen zu tun ist, die manchmal die ganze Schulkarriere gefährden können.

Katja Schnitzler

Mit der Einschulung stürmt auf Erstklässler eine Vielzahl neuer Eindrücke ein. Sie müssen in einem ganz anderen sozialen Gefüge einen Platz finden und stundenlang stillsitzen. Stefan Brandt, Schulpsychologe in Berlin, spricht über Probleme auf dem Pausenhof, die Wichtigkeit der W-Fragen und darüber, für wen Erstklässler wirklich lernen.

Spannung und Anspannung: Kinder müssen mit der Einschulung mit ganz neuen Anforderungen fertigwerden. Schon das lange Stillsitzen ist gewöhnungsbedürftig. (Foto: Archivfoto: ddp)

Süddeutsche.de: Viele Kinder freuen sich sehr auf ihren ersten Schultag und kippen dann vor Aufregung fast um. Wie bringen Eltern die Erstklässler gut durch diesen Tag?

Stefan Brandt: Der erste Schultag ist ein sehr schöner Tag, den neuerdings die ganze Familie mitfeiert, auch Großeltern reisen an. Das ist wunderbar - auch, dass alle von ihrer eigenen Einschulung berichten. Dennoch sollten die Eltern darauf achten, dass nicht zu viel zusätzliche Spannung aufgebaut wird. Also sollten sie das Kind spielerisch ablenken, Verständnis auch für Tränen haben und vermitteln: Du schaffst das. Schließlich kann dieser Neustart auch mit Trennungsängsten verbunden sein.

Ängste schürt es auch, wenn Erwachsene nur noch vom "Ernst des Lebens" sprechen ...

Dabei ist die Schule zumindest in der ersten Klasse heute viel spielerischer, so ernst wird es gar nicht. Außerdem sollten sich Eltern am ersten Schultag und generell in der ersten Zeit zurückhalten und das nervöse Kind nicht mit Forderungen überfrachten wie "Hör der Lehrerin zu! Sitz still! Sei leise!". Die Eltern dürfen auch nicht die Pädagogin schlecht machen, wenn sie Negatives über sie erfahren haben. Dem Kind hilft es nicht, wenn es hört: "Da hast Du aber Pech gehabt."

Trotzdem kommt es vor, dass ein Kind überhaupt nicht mit der Lehrkraft zurechtkommt. Wie reagieren Eltern richtig?

Sie sollten das Thema wie alle Probleme ernst nehmen, aber nicht dramatisieren. Oft hilft es, herauszufinden, was dem Kind an diesem Erwachsenen so fremd ist, denn da liegt meist das Problem. Gemeinsam mit der Lehrerin kann man überlegen, wie sich das Kind in der Schule künftig wohler fühlt. Denn Kinder lernen erst einmal für ihre Lehrerin und weniger für sich selbst. Schon deshalb sollten Eltern den Beziehungsaufbau zwischen Kind und Pädagogen unterstützen und nicht deren Autorität untergraben. Wenn der Schüler aber schon nach zwei Wochen sagt, "Schule ist Mist", und das wegen der Lehrerin, hilft in manchen Fällen wirklich nur ein Klassenwechsel.

Nun ist für Erstklässler nicht nur die Lehrerin neu, sondern die ganze Situation. Aus dem erfahrenen Kindergartenkind, das alle Abläufe kennt, wird ein "kleines" Schulkind, das sich in einem fremden Umfeld völlig neu orientieren muss. Zu welchen Problemen kann es kommen?

Dieser Rollenwechsel verunsichert Kinder. Besonders wenn die Größeren es ärgern. Eltern sollten ihr Kind ermutigen, sich bei den Lehrern Hilfe zu holen, wenn es Fragen hat oder sich bedrängt fühlt. Das ist kein Petzen. Außerdem müssen Eltern vom ersten Schultag an dranbleiben, um früh von Problemen zu erfahren. Während die Kinder lernen, sich in einer neuen sozialen Gruppe zurechtzufinden, müssen die Eltern lernen, zuzuhören.

Aber manche Kinder erzählen zuhause kaum etwas.

Selbst die werden von echtem Interesse und W-Fragen aus der Reserve gelockt. Also sich nicht mit "Hat es Dir gefallen? - Ja." begnügen, sondern offene Fragen stellen: "Wen fandest Du besonders nett? Was hat dich geärgert? Was hat euch die Lehrerin heute gezeigt?" Bei Problemen sollten die Eltern nicht gleich Ratschläge geben, sondern besser nachhaken, zum Beispiel indem sie fragen: "Wie stellt es denn dein Banknachbar an, dass er in der Pause nicht alleine spielen muss?" Wenn dann das Kind selbständig auf eine Lösung kommt, ist das tausendmal mehr wert.

Genau das kann zu einem großen Problem werden: Wenn Kinder in der Klasse keine Freunde finden. Wie können Eltern helfen?

Sie sollten bald mit der Lehrerin darüber sprechen, um sie dafür zu sensibilisieren. Sie könnte das Kind neben einen Banknachbarn setzen, von dem sie denkt, dass sich die beiden gut verstehen. Außerdem bringen die meisten Eltern ihre Kinder in der ersten Zeit zur Schule und treffen dort auf andere Eltern. Um ihrem Kind die Kontaktaufnahme zu erleichtern, könnten sie nachmittags andere Kinder einladen. Oder den Schulweg gemeinsam organisieren. Den Rest muss das Kind dann alleine schaffen. Schließlich kann keiner seinem Kind vorschreiben, mit wem es befreundet sein muss.

Kommt Mobbing schon in der ersten Klasse vor?

Das gibt es schon, dass ein Kind nie mitspielen darf oder ein Junge ausgegrenzt wird, weil er nicht Fußball spielt. Darunter leiden Kinder sehr. In diesem Fall sollten die Eltern unbedingt schnell etwas unternehmen, denn das gibt sich nicht von selbst. Schließlich ist es wichtig, dass jeder seinen Platz in der neuen Gruppe findet und keiner ganz allein ist. Wenn das so ist und den Erstklässlern die Lust am Lernen verdirbt, ist die ganze Schulkarriere in Gefahr. Manche meinen, dass Kinder das unter sich ausmachen sollen, doch damit sind Erstklässler überfordert. Es muss genau hingeschaut und gemeinsam mit dem Kind überlegt werden, was es tun kann. Außerdem sollten die Eltern Kontakt mit Lehrern und Schulpsychologen suchen und auch zu anderen Eltern. Ich rate zu einem ungezwungenen Elternstammtisch einmal im Monat. Da erfährt man sehr erstaunliche Dinge über sein eigenes Kind, das in der Schule oft ganz anders ist als daheim. Viele Eltern sind überrascht, wie brav ihr Rabauke im Unterricht ist - und umgekehrt.

Mit der Einschulung sollen Sechsjährige plötzlich lange Zeit am Stück stillsitzen und sich konzentrieren. Können Eltern ihre Kinder dabei unterstützen?

Stillsitzen ist für die Kleinen mit das Schwierigste, das sie aber bis zum Ende der ersten Klasse können sollten. Es ist gut, wenn Eltern daheim auf eine gute Körperhaltung beim Arbeiten achten, dass die Kinder also nicht am Boden Hausaufgaben machen, sondern am Tisch in ruhiger Atmosphäre. Dann stellen die Eltern einen Wecker auf fünf Minuten, dann sieben Minuten und so weiter, so dass das Kind lernt, immer länger am Stück am Tisch zu sitzen, ohne herumzuzappeln. Wenn es das aber nur eine Viertelstunde lang aushält, sollte man das dem Lehrer mitteilen. Der kann darauf Rücksicht nehmen, aber das Kind auch ermutigen, sich nach und nach das Herumturnen abzugewöhnen.

Wenn sich ein Kind nachmittags besonders viel bewegt, kann es doch am Vormittag in der Schule ruhig sitzen?

Natürlich soll man am Nachmittag für körperlichen Ausgleich sorgen, das brauchen alle Kinder. Das heißt aber nicht, das Kind so kaputtzuspielen, dass es am nächsten Morgen übermüdet ist. Dann zappelt es, weil die Energie für die Konzentration fehlt. Bewegung und Entspannung sollten ausgeglichen sein, die Kinder dürfen auch mal runterkommen, zum Beispiel mit einer Mutter-Kind-Massage. Außerdem müssen Kinder rechtzeitig ins Bett, mit einem beruhigenden Ritual wie Vorlesen. Wenn dann nochmal Schulprobleme hochkommen, sollten sich Eltern auch abends Zeit zum Zuhören nehmen. Und dann wäre da noch das leidige Thema Fernsehen: Kinder, die viel vor der Glotze hocken, sind immer unruhig in der Schule. Aber ich habe das Gefühl, da redet man gegen Wände.

Stefan Brandt ist Psychologischer Psychotherapeut und Familientherapeut und arbeitet seit 1975 in Schulpsychologischen Beratungszentren verschiedener Berliner Bezirke. Zudem betreut er als Psychotherapeut Kinder und Jugendliche.

Auf den ersten Schultag freuen sich die Kinder seit langem. Nur dass die Erwachsenen immer vom Ernst des Lebens reden, gibt ihnen zu denken. Ist es endlich so weit, haben die Erstklässler aber ganz andere Probleme. Die Erziehungs-Kolumne.

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