Zwischenstopp:Anschlussleben

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Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Transiträume und Haltestellen aller Art, Orte des Aufbruchs oder Innehaltens in nah und fern gebeten: Saša Stanišić wartet auf Anschlussflüge und verliert nicht nur Koffer.

Von Saša Stanišić

Für unsere Sommerserie haben wir Autorinnen und Autoren um Texte über Transiträume und Haltestellen aller Art, Orte des Aufbruchs oder Innehaltens in nah und fern gebeten.

Ich warte auf den Anschlussflug nach Glasgow. Ich warte auf den Anschlussflug nach Paris. Ich wasche mir das Gesicht auf einer Heathrow-Toilette. Ein Gesicht, das auf der Flughafentoilette gewaschen wird, fühlt sich nicht sauberer an. Ich ziehe meine Schuhe an der Sicherheitskontrolle in Nashville, Tennessee aus. Aus dem Loch in meiner Socke guckt mein Zeh. Ich schäme mich ein wenig. "No worries, I see that a lot", tröstet mich der Sicherheitskontrollenkontrolleur. "No worries, you can always get another job", tröste ich ihn.

Ich verpasse meinen Anschlussflug nach Tel Aviv. Zwei oder vier orthodoxe jüdische Familien sind ebenfalls zu spät. Dreißig, wegen ihrer Verspätung erst schlecht, dann wegen exzellenter Laune exzellent gelaunte Juden. Wir müssen sechs Stunden auf die nächste Maschine warten. Bald beginnen die Kinder, auf mir herumzuklettern. Sie tun so, als sei ich immer da, ein Flughafenbaum, und das stimmt fast und gefällt mir, ich wollte immer schon Baum sein.

In der Flughafen-Bar in Seattle warte ich auf meinen Anschlussflug nach San Francisco. Zehn Fernseher zeigen alle dasselbe Baseballspiel. Baseball ist für mich wie Altgriechisch für alle. Ich zähle bis fünf und wende mich dem nächsten Bildschirm zu. Nach einer Weile fühlt sich das psychedelisch an, obwohl ich keine Ahnung habe, wie sich psychedelisch anfühlt. Ich feuere beide Mannschaften an, juble mit starkem französischem Akzent, um die Abneigung des Amerikaners gegen den Franzosen weiter zu befeuern.

Die Rollköfferchen mögen Whiskey. Wir verstehen uns

Im Flugzeug nach San Francisco fällt mir ein, dass ich in der Aufregung - als man mich passiv-aggressiv bat, die Flughafen-Bar zu verlassen -, mein Rollköfferchen liegen ließ. Die Amis werden das herrenlose Ding sofort sprengen. Adieu, Rollköfferchen. Das Loch in der Socke wird man danach nicht meiner Schludrigkeit zuschreiben, sondern dem Dynamit. Ich flüstere mehrmals das Wort "Dynamit", weil das eine außergewöhnliche Reihung von Buchstaben ist. Meine Sitznachbarin steht auf, geht weg, und kommt bis zur Landung nicht mehr zurück.

In San Francisco kaufe ich mir ein neues Rollköfferchen und Socken ohne Loch und alles, was ich je besaß, noch mal. Im Hotel wartet aber mein altes Rollköfferchen auf mich. Ich umarme es, als sei es aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Wir betrinken uns. Beide Köfferchen mögen Whiskey. Sie verstehen sich prima. Später wird getanzt.

Ich warte auf den Anschlussflug nach Stockholm. Ich warte auf den Anschlussflug nach Paderborn und schlafe ein, und irgendwann weckt mich eine müde Putzfrau, und ich habe den Flug verpasst und muss in ein Hotel, wo bin ich überhaupt, ich bin in Düsseldorf, warum wollte ich überhaupt von Düsseldorf nach Paderborn fliegen, ich esse Salzstangen und schmelze die Mini-Bar-Toblerone zu einer heißen Schokolade im Wasserkocher, davon kann ich dann nicht einschlafen und schaue mir die ganze Nacht hindurch Talkshow-Wiederholungen an und frage mich, wohin das alles mit dieser ewigen Reiserei wirklich führen soll.

Kurz vor Morgengrauen schlafe ich neben der Richterin Barbara Salesch ein. Als ich aufwache, habe ich den Flug nach Paderborn wieder verpasst, und plötzlich, da ist diese panische Angst, niemals wieder aus Düsseldorf wegzukommen. Ab jetzt ein Leben im Flughafenhotel Düsseldorf mit trockenen Frühstückseiern und trockenen Augen, ein Leben mit psychedelisch gemusterten Teppichen, mit Barbara Salesch, und so ein schlechtes Leben ist das ja eigentlich gar nicht. Dann aber fällt mir ein, dass in Hotelzimmern mehr Bakterien auf der Fernbedienung zu finden sind als auf dem Klodeckel, die wird nämlich nie geputzt, die Traumblase platzt, und ich checke aus, 50 Euro für Salzstangen, Pornos gucken und Druckkosten für diesen Text.

Der nächste Flug nach Paderborn geht in 7 Stunden. Ich setze mich am Gate auf genau den gleichen Platz, wo ich tags zuvor eingeschlafen war. Kaum sind mir die Augen wieder am Zufallen, da lässt sich Stefan Effenberg neben mir nieder und schlägt die SZ auf. Ein schöner, ernster Mann vertieft in die Feuilleton-Seiten, eine Opern-Kritik, die er errötet zur Kenntnis nimmt, wütend oder beschämt.

Ich lande in Rio, ich lande in Stuttgart. Auf allen Flügen bestelle ich Tomatensaft und Tee. Ich sage "TnT" dazu. Egal wie oft ich diesen Witz bringe, keine Flugbegleiterin und überhaupt niemand hat ihn je lustig gefunden. Ich warte auf meine beiden Rollköfferchen in La Guardia. Ich warte auf meine beiden Rollköfferchen in Köln-Bonn. Ich öffne meine Rollköfferchen für den Züricher Zoll. In einem liegt oben die Socke mit dem Loch. "Was ist das?", fragt der Züricher Zoll und meint sicher nicht die Socke. "Mein Leben", sage ich und zahle 200 Franken Einfuhrzoll.

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad geboren. 2016 erschienen seine Erzählungen "Fallensteller".

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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