Zum Tod von Michael Jackson:Gib nicht auf, bevor es perfekt ist

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Der Pop verliert einen vollkommenen Songschreiber und Musiker - was wir hören, wenn wir Michael Jackson hören.

Jens-Christian Rabe

Neben der so überlebensgroßen wie schrägen, gelegentlich bizarren Figur Michael Jackson, neben dem Superstar unter den Superstars, dem König des Pop - neben diesen Rollen ist der Ruhm des Musikers und Songschreibers mit den Jahren fast verblasst. Auch die 50, innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Konzerte, die in diesem Jahr in London noch hätten stattfinden sollen, konnten darüber nicht hinwegtäuschen.

Michael Jackson bei einem Auftritt im Hippodrome de Vincennes in Paris. (Foto: Foto: AFP)

Nachgeborene Stars und Produzenten von Babyface bis Pharell Williams, mit denen Jackson bis zuletzt immer wieder zusammenarbeitete, berichteten zwar auch in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit aufrichtig bewundernd vom ungebrochenen popmusikalischen Genie des Meisters. All die unerhörten Begebenheiten im privaten und öffentlichen Leben des Weltstars Jackson überlagerten die Wahrnehmung des Künstlers Jackson allerdings längst unwiderruflich. Natürlich fehlte, wenn die Sprache auf ihn kam, selten der Verweis auf frühere Innovationen.

In der Regel blieb deren Formulierung jedoch blass, fast formell. Es wirkte meist vor allem wie ein lästige Pflicht. Umso weniger schienen die schieren Zahlen ihre Kraft zu verlieren. Nicht ganz zu Unrecht. Sie sind noch immer - wahrscheinlich muss man in Zeiten des sinkenden Tonträgerabsatzes sogar sagen: mehr denn je - gewaltig. Und nicht zuletzt bis heute unübertroffen.

Viele hundert Millionen Platten hat Michael Jackson im Laufe seines Lebens verkauft. Und mit seinem berühmtesten Werk, dem aus gerade einmal neun Songs bestehenden "Thriller" aus dem Jahr 1982 geht wohl auch das erfolgreichste Pop- Album aller Zeiten auf sein Konto. Anderthalb Jahre stand es in den Top-Ten der amerikanischen Charts, 37 Wochen davon auf Platz eins. Sieben der neun Songs schafften es in die Top-Ten der Single-Charts. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs wurden das Album pro Woche eine Million Mal abgesetzt. Bis heute hat es sich weltweit rund 100 Millionen Mal verkauft.

Die Geschichte der zentralen Arbeit Jacksons ist jedoch nicht denkbar ohne den 1979 erschienenen Vorgänger "Off The Wall". Anders als etwa Stevie Wonder war es Michael Jackson nämlich zunächst nicht gelungen, seinen Ruhm als Kinderstar mit den Jackson Five in eine ähnlich erfolgreiche Karriere als erwachsener Star hinüberzuretten. Ende der siebziger Jahre lagen seine letzten Hits fast zehn Jahre zurück. Auf der Suche nach einem neuen Mentor lernte er bei den Proben für die Verfilmung des Musicals "The Wiz" 1978 den umtriebigen Jazz- und Funk-Komponisten und Produzenten Quincy Jones kennen und gewann ihn für die Aufnahmen seines nächsten Albums.

Eiserner Wille

Jones stellte daraufhin eine Studioband aus alten Weggefährten und Sessionmusikern zusammen, gewann Songwriter wie Stevie Wonder und Paul McCartney und ermöglichte einen Sound, der nicht mehr viel mit dem so schön rumpeligen, unüberhörbar "schwarzen" Sechziger-Jahre-Soul der Jackson Five zu tun hatte. Mit Hilfe von Disco erfanden Jones und Jackson vielmehr den R&B neu, also die Spielart der Popmusik, deren Wurzeln vor allem im Soul und im Funk liegen.

Das kristallene Federn der Arrangements, die scharf-zuckende Durchsichtigkeit der Beats, Basslinien und Bläsereinsätze, die präzisen Falsettschreie und die geschmeidigen Balladen blieben die Essenz des Pop-Entwurfs Michael Jacksons. Es dürfte alles andere als ein Zufall sein, dass der Nummer-Eins-Hit und symptomatischste und makelloseste Song der Platte, "Don't Stop 'Til You Get Enough", sogar aus der Feder des Stars selbst stammt. Von da an war klar, dass es die Welt nicht nur mit einem kongenialen Interpreten fremder Ideen zu tun hatte, sondern mit einem intelligentem, fintenreichen Musik-Autor aus eigenem Recht.

Wenn also mancherorts behauptet wurde und wird, dass alles, was drei Jahre später auf dem ungleich erfolgreicheren (auch "Off The Wall" verkaufte sich allerdings schon weit über zehn Millionen Mal) "Thriller" zu hören war, nicht im eigentlichen Sinne neu war, dann ist das nicht falsch; viele Bausteine des später typischen Jackson-Sounds finden sich sogar auf Aufnahmen der Jacksons, wie sich die herangewachsenen Jackson Five nannten. Es ist aber eben auch nicht ganz richtig.

Denn schon allein ein etwas genauerer Blick auf den ebenfalls von Jackson selbst verfassten und - wie wieder das gesamte Album - von Quincy Jones produzierten Hit "Billie Jean" zeigt, das er im Grunde erst auf "Thriller" zu finalen Meisterschaft fand. Bei aller Opulenz der Inszenierung nämlich, die die Wahrnehmung der Werke Jacksons meist dominiert, ist hier vielleicht so etwas wie das Geheimnis seiner Kunst zu entdecken: das ungemein ökonomische, dabei jedoch maximal funktionale Arrangement der Mittel.

"Billie Jean" beginnt mit einem schnörkellosen Backbeat, betont wird also konsequent nicht der erste und dritte Schlag jedes Viervierteltaktes sondern der zweite und vierte. Nach einer Weile beginnt die berühmte satte, aber ebenso völlig geradlinige, aus acht Achtelnoten bestehende Bassspur. Trotzdem schiebt sich der Song nun mehr voran, als dass er rollen würde, wie man es von schwarzer Musik erwarten würde. Seine so bezwingende Leichtigkeit erlangt er erst mit dem Gitarrenakzent, der immer knapp nach dem ersten betonten Schlag für eine gewissen Verschiebung sorgt. So schreibt man seine Tradition fort und gewinnt die weißen Massen.

Anlässlich des 25. Geburtstages des Albums vor zwei Jahren nannte Ndugu Chancler, einer der großen amerikanischen Studio-Drummer und damals am Schlagzeug während der "Thriller"-Aufnahmen, Jackson den "John Coltrane der Popmusik", bei dem er nicht an Klatschgeschichten denke, sondern an einen eisernen Willen zur Perfektion: " Er hatte sich den Raum extra abdunkeln lassen, um durch nichts abgelenkt zu sein, und für mich klang es perfekt. Aber Michael sage zu Quincy: ,Das war's noch nicht, lass mich das nochmal singen.'"

Ohne diesen Drang zur Vollendung ist das Werk Michael Jacksons nicht denkbar.

© SZ vom 27.06.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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