Zum Tod von Architekt Hans Hollein:Meister der Formen

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Der österreichische Architekt Hans Hollein starb im Alter von 80 Jahren in Wien. (Foto: dpa)

Er befreite die Architektur vom Bauen: Hans Hollein gestaltete Gebäude immer schon wie ein Bildhauer, ein Grafiker oder Goldschmied. Nun starb der große Wiener Architekt im Alter von 80 Jahren. Nachruf auf einen Universalkünstler.

Von Gottfried Knapp

Die Reise nach Mönchengladbach war schon gebucht. Dort, im Städtischen Museum Abteiberg, ist seit Kurzem eine anlässlich des 80. Geburtstages organisierte Ausstellung über das Lebenswerk des großen Wiener Architekten Hans Hollein zu sehen; dort besteht also die Gelegenheit, das bildnerische Werk dieses Meisters der Formen am authentischsten Ort zu erleben, den es dafür geben dürfte: in den Räumen jenes Museums, das Hollein zwischen 1972 und 1982 für Kunstwerke aller Art geschaffen hat - und das ihm wohl auch zwei Jahre nach der Eröffnung den renommierten Pritzker-Preis eingebracht hat.

Doch statt der neuerlichen Würdigung dieses epochemachenden Bauwerks der Postmoderne und statt der strengen Überprüfung seiner Qualitäten nach mehr als dreißig Jahren ist plötzlich ein Nachruf fällig: Hans Hollein ist am 24. April in Wien, wo er auch geboren wurde und studiert hat, gestorben.

Wenn wir heute Holleins Werk der Postmoderne zuordnen, reagieren wir im Rückblick auf Bauten wie das 1991 eröffnete Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Wie ein Tortenstück der Marke Sacher füllt dieser Bau das spitz zulaufende Eckgrundstück in der zerstörten Altstadt bis an die Gehsteige. Jedem Stockwerk sind andere Materialien, andere Fensterformen und andere architektonische Zierelemente zugeordnet. Wenn man den Begriff Postmoderne, der auf dem Gebiet der Architektur in Deutschland inzwischen als Schimpfwort gilt, überhaupt irgendwo ohne falschen Zungenschlag anwenden kann, dann in diesem skulptural durchklügelten Baukunstwerk, das aber keineswegs leicht zu bespielen ist.

Abwesenheit von baulicher Alltäglichkeit und routinierter Normalität

Hans Hollein (Vater übrigens des Frankfurter Museumsmannes Max Hollein) hat sich, als der öffentliche Protest gegen die billig verwahrloste Moderne nach ästhetischen Formen rief, nicht erst anpassen müssen. Er hat immer schon wie ein allseits gebildeter Künstler, wie ein Bildhauer, ein Grafiker oder Goldschmied Architektur gestaltet. Gebautes sollte seiner Meinung nach ästhetischen, ja im Idealfall sogar kultischen Ansprüchen genau so genügen wie Gemälde, Skulpturen, Gralskelche oder Monstranzen.

Er nannte das, was er sich vorstellte, "Absolute Architektur", wobei das Adjektiv "absolut" vor allem die Abwesenheit von baulicher Alltäglichkeit und routinierter Normalität meinte. Einer der Sprüche, die er damals den Architektenkollegen ins Stammbuch schrieb, hieß: "Wir müssen die Architektur vom Bauen befreien!" Oder: "Wenn wir schon eine Schönheit wollen, dann eine sinnliche Schönheit elementarer Gewalt."

Diesem titanischen Anspruch hat Hollein in seinen ersten architektonischen Arbeiten mit klug pointierten gestalterischen Finessen gerecht zu werden versucht. In anderen Städten des deutschsprachigen Raums hätten seine Kreationen kaum eine Chance gehabt und wohl auch deplatziert gewirkt. In der erhaltenen Altstadt von Wien aber, wo an allen Ecken meisterlich durchmodellierte Gesamtkunstwerke aus der Geniezeit um 1900 herumstanden und auf entsprechend genialische Antworten aus der Architektenschaft warteten, wirkten die ersten, vom Ausmaß her bescheidenen Versuche Holleins so, als sei ein Meisterschüler der Wiener Werkstätten, ein spätgeborener Abkömmling der bildnerischen Alleskönner aus der frühen Moderne am Werk gewesen.

So hat Hollein 1965 bei der nur cirka drei Meter breiten Fassade des Kerzengeschäfts Retti die Tür in der Mitte der silbernen Eingangswand auf quasi Schlitzbreite verschmälert, den Schlitz aber oben beidseitig halbkreisförmig erweitert und kühl ausornamentiert. Die geschlossene Fassade öffnet sich nach innen also in der Form einer leuchtenden Kerze. Die beiden niedrig angebrachten winzigen Schaufensterluken rechts und links vom Eingang aber versetzen die wenigen Objekte, die dort ausgestellt werden können, in einen kultischen Zustand, teilen ihnen einen Wert zu, den sie außerhalb dieser Schreine niemals erreichen würden.

Mit den Museumsbauten hebt sich Hollein von der Konkurrenz ab

Beim neun Jahre später geschaffenen Juweliergeschäft Schullin in Wien besteht die Fassadenwand aus gleißend polierten edlen Natursteinplatten. Doch in diese spiegelnd glatte Rechteckfläche hat Hollein über der Eingangstür ein asymmetrisch ausfransendes Loch hineinfräsen lassen, das von einer Explosion stammen könnte, dem makellosen Gehäuse jedenfalls eine Verletzung zufügt, die angesichts der im Schauschrein ausgestellten Luxusobjekte alarmierend wirkt. Wie viele Architekten auf der Welt sich bei Hollein diesen Effekt geborgt haben, ist leider nicht bekannt.

Es sind aber doch wohl die Museumsbauten, mit denen sich Hollein am deutlichsten von der Konkurrenz abhebt. Mönchengladbach liegt eigentlich in einer recht flachen Gegend. Der einzige leichte Hügelzug trägt den schönen Namen Abteiberg - und diesen leichten Geländesprung hat Hollein 1972 dazu benutzt, um einige der Räume des geplanten Museums dort hineinzuschieben. Ja, er hat die Etagen seines Museumsbaus so präzis dem Berg angepasst und mit Ziegelmauern verkleidet, dass das Ganze wie eine Abfolge geschwungener Reisterrassen aussieht. Betreten wird das Museum vom Dach aus. Von der Innenstadt aus führt eine Brücke hinüber auf das Museumsdach und dort auf einen frei stehenden gläsernen Würfel zu, der über Treppe und Lift hinabführt in die Museumsgeschosse.

So unnachahmlich also die Eingangssituation in Mönchengladbach ist, so oft ist das System der inneren Wegeführung kopiert worden. Indem er die Ausstellungsräume wie Kleeblätter auf eine gemeinsame Mitte hin zentrierte, die Zugänge also von der Mitte der Seitenwände auf die gemeinsame Ecke verlegte, eröffnete er im Museum einen überraschend logischen Rundgang, der ohne Umwege in alle Räume und dort einmal an allen Ausstellungswänden entlangführt. Da sieht man einen Kunstgenießer am Werk, der es hasst, von unkluger Architektur gegängelt zu werden, der aber auch einmal in seinem Leben gerne einen Architekturtraum verwirklicht hätte, wie er ihn irgendwann ins Innere des Salzburger Mönchsbergs hineingedacht hat.

© SZ vom 25.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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