Zeitgeschichte:Gegen den "Judenkönig"

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David Motadel hat eine umfassende Darstellung der Islampolitik des NS-Regimes vorgelegt. Elegant und ohne Effekthascherei zeigt er, wie die Muslime für den Rassekrieg instrumentalisiert werden sollten.

Von Tanjev Schultz

Um sich bei den Muslimen in Nordafrika anzubiedern, wickelten die Nationalsozialisten Zuckerwürfel in Papier. Aufgedruckt in arabischer Sprache stand dort: "Mit Gottes Hilfe ist den Deutschen der Sieg gewiss." Die Propaganda-Experten ließen auch parfümierte Zettel mit Koranversen verteilen und Talismane mit Hakenkreuzen und frommen Sprüchen. Sie planten, Teebeutel herzustellen, die sie in Amulette stecken oder auf Flugblätter heften konnten. Die Nationalsozialisten stilisierten sich zu Freunden des Islam und wollten möglichst viele Muslime für ihren Krieg einspannen. Nicht nur der Hass auf die Juden sollte als einigendes Band wirken; die Nazis versuchten, sich als Befreier von der Kolonialherrschaft darzustellen.

Eine bahnbrechende Studie zu dieser Propaganda und der nationalsozialistischen Islampolitik liegt nun auf Deutsch vor. Das in Fachkreisen gepriesene Buch von David Motadel erschien vor drei Jahren zunächst im Verlag der Harvard-Universität. Motadel wurde in Detmold geboren, studierte unter anderem in Freiburg, promovierte schließlich in Cambridge und lehrt mittlerweile Geschichte an der London School of Economics and Political Science. Sein Buch beruht auf einer Quellenarbeit in mehr als 30 Archiven aus 14 Ländern. Es zeigt in frappierenden und erschreckenden Details, wie das NS-Regime versuchte, den Islam für seine Zwecke zu instrumentalisieren.

Amin al Husseini, der Großmufti von Jerusalem, auf einem Übungsplatz bei den bosnischen Freiwilligen der Waffen-SS. (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1980-036-05/Unbekannt/CC-BY-SA 3.0)

Als Hitlers Truppen in Gebiete einmarschierten, in denen viele Muslime lebten, begann auch eine Propagandaschlacht um die Gläubigen. Die Nazis wollten sich zum einen den Rückhalt der Bevölkerung sichern und zum anderen Muslime als Soldaten rekrutieren. In der Wehrmacht und bei der SS kämpften am Ende Zehntausende Muslime, die überwiegend aus der Sowjetunion stammten und auf deren religiöse Bedürfnisse, beispielsweise beim Beten oder den Speisevorschriften, Rücksicht genommen werden sollte. Im Kaukasus führten die deutschen Besatzer die muslimischen Feste und Feiertage wieder ein. Auch das Schächten wurde schließlich gestattet. Im Februar 1944 erließ das Oberkommando der Wehrmacht die Weisung, das Reichstierschutzgesetz im Hinblick auf alle muslimischen Soldaten des deutschen Heeres außer Kraft zu setzen. David Motadel erzählt diese verblüffende Geschichte elegant und ohne Effekthascherei.

Die SS suchte nach Wegen, Hitler als religiöse Figur zu zeichnen. Nach der Niederlage in Nordafrika wies Himmler das Reichssicherheitshauptamt an, im Koran nach Passagen zu suchen, die das Erscheinen eines Führers voraussagen würden, der das Werk des Propheten vollendet. Die Suche verlief insgesamt ernüchternd, aber an einige messianische Vorstellungen glaubten die Nazis anknüpfen zu können. In einem Bericht der Beamten hieß es, Hitler könne zwar nicht als Prophet dargestellt werden, "wohl aber als der im Koran vorhergesagte wiedergekehrte Isa (Jesus), der nach der Art des Ritters Georg den am Ende der Welt erscheinenden Riesen und Judenkönig Dadjdjal besiegt". So entstand eine Propagandaschrift, die Hitler zum Dadjdjal-Bezwinger erklärte: "O Araber, kennt ihr den Diener Gottes? Er ist bereits auf der Welt erschienen und schwingt schon seine Lanze gegen den Dadjdjal und seine Verbündeten."

Schon 1941 war im Auswärtigen Amt ein Memorandum verfasst worden, das ein "umfassendes deutsches Islam-Programm" vorschlug und empfahl, ein Komitee aus Experten zu bilden. Als Leiter wurde der Diplomat Werner Otto von Hentig vorgeschlagen, der bereits an der Dschihad-Politik im Ersten Weltkrieg beteiligt war. Er entwarf einen Plan zur Mobilisierung der Muslime in der Sowjetunion und setzte auf eine panislamische Bewegung. Im Orientreferat des Amtes koordinierten Fritz Grobba und Carl Prüfer die Islampolitik des NS-Regimes. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Einrichtungen zu gründen, wie das Islamische Zentralinstitut in Berlin, und muslimische Geistliche anzuwerben, wie den polnisch-litauischen Großmufti Jakub Szynkiewicz oder den Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der den Nazis mit seinem glühenden Judenhass sehr gelegen kam.

Die Geschichte des Großmuftis von Jerusalem, der sich in Berlin niederließ und von Hitler im November 1941 in der Neuen Reichskanzlei empfangen wurde, ist schon öfter beschrieben worden. Aus Sicht Motadels haben manche Studien den Einfluss al-Husseinis allerdings etwas übertrieben. Ohnehin urteilt er wohltuend vorsichtig, wenn es darum geht, die Bedeutung und den Erfolg der nationalsozialistischen Islampolitik zu ermessen. Diese sei insgesamt "stark improvisiert" gewesen, unterschätzt hätten die Nationalsozialisten unter anderem die Unterschiede zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen, beispielsweise den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten.

Hitler und Himmler haben mehrmals ihre Sympathie für den Islam zum Ausdruck gebracht, der ihnen, zumal im Vergleich mit dem angeblich verweichlichten Christentum, als heroisch und soldatisch erschien. Am Ende des Krieges bedauerte Hitler, Muslime nicht noch entschiedener mobilisiert zu haben. "Dabei bebte die islamische Welt in Erwartung unserer Siege", diktierte er im Bunker von Berlin. Angeblich wären die Muslime eigentlich "bereit zum Aufstand" gewesen.

Wie Motadel, der eben mit dem Philip Leverhulme Preis, einem der wichtigs- ten Wissenschaftspreise Großbritanniens, ausgezeichnet wurde, plausibel argumentiert, scheiterten die Versuche, den Islam für die deutsche Politik zu instrumentalisieren, nicht zuletzt an ihrer mangelnden Authentizität. Auch der Einsatz islamischer Geistlicher habe nichts daran ändern können, dass die Behauptung, Schutzmacht der Muslime zu sein, nicht glaubhaft war. Und die vielfältigen Propaganda-Aktionen hatten schon deshalb nur eine begrenzte Wirkung, weil viele Menschen in den Zielregionen weder lesen konnten, noch über ein Radiogerät verfügten.

Der Krieg und die Vernichtungspolitik der Nazis kosteten auch vielen Tausend Muslimen das Leben. Es kam vor, dass beschnittene Muslime für Juden gehalten und ermordet wurden. Führende Nazis gaben Weisungen, dem Islam mit Respekt zu begegnen, aber der Pragmatismus, den sie hier zeigten, vertrug sich schlecht mit dem überwölbenden Rassismus, der im Alltag vieler Soldaten und SS-Einheiten eben auch vor Muslimen nicht haltmachte.

In den vergangenen Jahren sind zum Verhältnis der Nationalsozialisten zur Arabischen Welt bereits einige wichtige Studien erschienen (wie "Halbmond und Hakenkreuz" von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers). David Motadels Buch liefert nun eine große Darstellung der Islampolitik, die nicht nur die Situation in Nordafrika und im Nahen Osten, sondern auch im Kaukasus, auf der Krim und dem Balkan in den Blick nimmt. Sein Buch ist bereits jetzt ein Standardwerk.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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