Zeitgenössische Lyrik:Pulver im Pelz

Lesezeit: 1 min

Private Befindlichkeiten, aber auch politisch: Kathrin Schmidt untersucht in ihrem Gedichtband "waschplatz der kühlen dinge" die feinen Risse in der Welt.

Von Nico Bleutge

Blinde Bienen sind äußerst aktive Geschöpfe. Sie mögen bisweilen taumeln im Flug, doch tatsächlich haben sie Feuer unter den Flügeln - oder genauer: "pulver im pelz, / dass es stäubt, dass es juckt". Die Dichterin Kathrin Schmidt war vor acht Jahren so begeistert von diesen Wesen, dass sie ihren Gedichtband nach ihnen benannt hat. Und wir Leser konnten an ihre stäubenden Wörter andocken und "zittern im rhythmus der / flackernden freuden". Nun geht es ein wenig ruhiger zu in Schmidts Sprachbienenstock. In ihrem neuen Band "waschplatz der kühlen dinge" schlägt sie "aussichtsdübel in die nackte wand" und untersucht private Befindlichkeiten oder die feinen Risse in Beziehungen, all das "biographische obst an den bäumen", das sich in den Routinen des Alltags ansammelt. Mit Wortfindungen wie "kürzeldrüse", "jahrgangszinnober" oder "netzhautgemetzel" will sie "die dürren begriffe fluten", während im Hintergrund die "ichrobbe" schläft. Dabei verschiebt sie gern die Konsonanten, aus "sander" wird hier "zander" und aus "zangen" werden "schlangen".

Kathrin Schmidt. (Foto: imago)

Zugleich sind diese Gedichte oft politisch, in dem Sinne, dass sie die Sprache der Politik, der Werbung und des Internets in ihre Windungen holen. Mit Volker Braun sondiert Schmidt dann "theoretischen schneefall", andernorts schickt sie eine "amazonian amazon" ins Rennen, mitsamt "krisenblitz" - um "die faule kiste zum platzen zu bringen". Weniger intensiv sind Gedichte, in denen Schmidt direkt die politischen Zeitläufte in den Blick nimmt. Etwa in einem Sonettenkranz, der unter dem Titel "das boot setzt über" das Übersetzen von Sprachen mit dem tatsächlichen Über-Setzen von Menschen, die auf der Flucht sind, kurzschließen will. Hier verlieren sich die Verse manchmal selbst "in süßer schrift und doppeldeutigkeiten".

Viel stärker ist Kathrin Schmidt, wenn sie Landschaften scannt, in Litauen etwa oder in Weißrussland, nicht weit von Tschernobyl entfernt. Dann verwandelt sie die Risse im Gelände und die "mineralsalzeinträge industrieller handschrift" in hochbewegliche Rhythmen: "wir fuhren ins schlackenland ein. ich hörte den zerfall zirpen / knapp unter der oberfläche, womöglich wollte die erdhaut / geräuschlos einreißen. jedenfalls sah es so aus, als sammelte sie kraft, / indem sie sich kaum merklich zurückzog." An solchen Stellen hat Kathrin Schmidts Sprache ordentlich Pulver im Pelz.

Kathrin Schmidt: waschplatz der kühlen dinge. Gedichte. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 95 Seiten, 16 Euro.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: