Weltkulturerbe:Raus aus dem Schatten!

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Weltkultur in Bernau: die Schule des Gewerkschaftsbundes. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die Unesco erweitert das Welterbe um zwei Werke von Hannes Meyer, der nach Walter Gropius das Bauhaus-Direktorat übernommen hatte.

Von Gerhard Matzig

Auch posthum hätte das Timing kaum grausamer sein können für Hannes Meyer. Der Mitte der Fünfzigerjahre verstorbene Schweizer Architekt, Urbanist und Bauhaus-Meister stand eigentlich immer im Schatten von Walter Gropius. So auch dieses Mal, als am Wochenende sehr spät - und für viele Medien zu spät - bekannt wurde, dass die Unesco auf ihrer Tagung in Krakau zwei weitere deutsche Welterbe-Stätten in den Kanon schutzwürdiger Baukultur aufnimmt: die Laubenganghäuser in Dessau-Roßlau und die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.

Das sind zwei bedeutende Schlüsselwerke von Meyer, der von 1928 bis 1930 das Direktorat von Bauhaus-Gründer Gropius übernommen hatte. Das Bauhaus ist ja schon länger prominent auf der Welterbeliste vertreten, mit Gebäuden und Denkmalen in Weimar und Dessau; aber jetzt wurde das sattsam bekannte Gropius-Bauhaus endlich auch um das meist eher den Spezialisten vertraute Meyer-Bauhaus erweitert. Besser spät als nie.

Leider wurde dies so spät gemeldet, dass die Zeitungen am Montag nur von den sechs Höhlen mit eiszeitlicher Kunst auf der Schwäbischen Alb als neuem Welterbe berichten konnten (SZ vom 10. Juli) - und außerhalb Deutschlands von Hebron oder der spektakulären Asmara-Moderne. Für Meyer und sein Werk, das nicht nur aus Häusern, sondern vor allem auch aus Denkgebäuden besteht, blieb einmal mehr das übrig, worunter der begnadete Selbstdarsteller Gropius nie zu leiden hatte: relative Unbekanntheit, vergleichsweise Exotik.

Wobei zum denkwürdigen Timing auch die Serie "Denkmalsturz" im gestrigen Feuilleton der Zeitung Die Welt zu rechnen ist. Unter dem Motto "Es ist Sommer, wir haben nichts zu tun und wissen nicht, wohin mit unseren Aggressionen" wurde am Montag mit dem Bauhaus abgerechnet, denn aus der Sozialutopie sei ein "Fetisch für Geschmacksbürger" geworden. Einmal abgesehen davon, dass es für eine Kulturredaktion eine seltsam autoaggressive Geschäftsidee ist, die Kultur "vom Sockel zu stoßen": Genau deshalb ist das Werk von Meyer so bedeutsam und sollte der Welt in jeder ihrer Erscheinungsformen vermittelt werden.

Der Form-Fetisch illustriert exakt das, was Meyer bekämpft hat. Unter seiner Leitung wurden am Bauhaus die ingenieurtechnischen, ökonomischen und sogar ökologischen Aspekte in der Ausbildung angehender Architekten wieder stärker gewichtet. Zu Ungunsten der unter Gropius bald ins formelhaft Esoterische wuchernden Gestaltungsdogmatik.

Meyer war der Meinung, dass das Bauhaus seine ursprüngliche Idee, nämlich das Gestalten in den Dienst einer sozialen Idee zu stellen, verraten oder doch vergessen hatte. "Volksbedarf statt Luxusbedarf" war seine Maxime. In der Architektur ging es ihm um einfache, aber qualitätvolle Räume, die nicht einer Formidee gehorchen, sondern dem Menschen gerecht werden sollten. Im Städtebau vertrat er genossenschaftliche Anliegen, die heute in Zeiten der Wohnungsnot wieder angesagt wären. Und zukunftstauglicher sind als so manches Bauhaussofa.

Der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, bis 2014 Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau, sagt zum Unesco-Entscheid: "Die Laubenganghäuser und die Gewerkschaftsschule sind wegweisende Versuche, mit Architektur einen Beitrag zur gesellschaftlichen Emanzipation, zur Realisierung eines gerechteren Gemeinwesens zu leisten. Während Gropius vor allem den sogenannten Bauhausstil durchsetzte, war es Meyer, der Architektur primär als gesellschaftliche Aufgabe verstand und dafür auch den eigenen Berufsstand und dessen Neigung zu formalistischen Lösungen kritisch hinterfragte."

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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