Weltausstellung:Bulldozers Fluch

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Die Expo in Mailand, eine 1,3 Milliarden Euro teure Mischung aus Oktoberfest und Staatsbankett, bildet unsere Welt perfekt ab: als Jahrmarkt der Eitelkeiten, Egoismen und Kulissenschiebereien.

Von Laura Weißmüller

Die Szene dauert nicht länger als drei, vier Minuten, und trotzdem illustriert sie sofort den Irrsinn dieser Weltausstellung in Mailand. Während das Orchester der Scala vor dem Dom für die Eröffnungsshow am Vorabend der Expo probt, marschieren jungen Menschen, fast alle schwarz gekleidet, an den Absperrgittern vorbei. "No Expo" skandieren sie und "Wir wollen einen Job, keine kostenlosen Tickets." Obwohl die Geiger gerade in die Vollen gehen, sind die Parolen der Demonstranten nicht zu überhören.

Noch nie wurde eine Weltausstellung schon vor ihrem Beginn so scharf kritisiert wie diese Expo, die nun bis zum 31. Oktober ihre Pforten geöffnet hat. Die kleine Demonstration der Antifa ist im Vergleich dazu eher harmlos. So fällten bereits prominente Architekten wie Jacques Herzog, ehemals Teil des Planungsteams für die Expo, ein vernichtendes Urteil und deklarierten die Ausstellung als überflüssigen Jahrmarkt der Eitelkeit. Die Presse, egal ob in Italien oder international, berichtete im Vorfeld ausführlich, fast nur negativ. Über die Vergabe von Bauaufträgen an die Mafia etwa, die 2014 zu einer spektakulären Verhaftungswelle geführt hat. Schon 2011 schrieb der italienische Schriftsteller Roberto Saviano in der Zeit, die Mafia könne auf der Expo Ausschreibungen gewinnen, "weil sie eine aggressive Preispolitik betreibt. Die großen, legalen Unternehmen ergattern die Großaufträge und erteilen dann Unteraufträge an die Firmen der Mafia, weil sie so billig sind. So verdienen alle, nur nicht der Staat." Ebenfalls schlagzeilenträchtig waren die Verspätungen im Bauprozess. U-Bahnstationen, Fahrradwege, Brückenzugänge - selbst der italienische Hauptpavillon ist nicht rechtzeitig zur Eröffnung am 1. Mai fertig geworden. Wer in den letzten Tagen durch Mailand lief, konnte bei den sonst so vornehm zurückhaltenden Norditalienern denn auch nur genervtes Kopfschütteln angesichts der 1,3 Milliarden Euro ernten, die Stadt und Staat mitten in der Wirtschaftskrise für die Expo ausgeben.

Die globale und dauervernetzte Welt braucht offensichtlich keine Expo mehr, wie sie sich hier auf 1,1 Millionen Quadratmetern als Mischung aus Oktoberfest und Staatsbankett präsentiert. Denn wirklich Neues oder spektakuläre Erfindungen findet man hier kaum, obwohl das ja zu Beginn der Weltausstellungen Mitte des 19. Jahrhunderts der Sinn einer jeden Expo war. Doch in einer Zeit, in der fast monatlich irgendwo auf der Welt eine Messe mit scheinbar bahnbrechenden Neuheiten nach Aufmerksamkeit giert, hat sie diese Aufgabe verloren. Auch hilft es nichts, mit dem Titel "Feeding the World. Energy for Life" ein Thema zu wählen, das tatsächlich dringend diskutiert werden müsste. Der Umgang mit Lebensmitteln wird über die Zukunftsaussichten unseres Planeten entscheiden; während ein Teil der Weltbevölkerung gedankenlos die immer knapper werdenden Ressourcen plündert, gehen jeden Abend eine Milliarde Menschen hungrig ins Bett. Es ist durchaus sinnvoll, über das Thema zu informieren, und zwar nicht auf Veranstaltungen ehrenhafter NGOs vor viel zu wenigen Zuhörern, sondern vor einem Millionenpublikum. Und die Expo Mailand rechnet mit 20 Millionen Besuchern, zehn Millionen Tickets seien bereits verkauft, meldet sie stolz.

Mitten in der Wirtschaftskrise gibt Italien 1,3 Milliarden Euro aus - für einen Jahrmarkt

Nur: Wer erst einmal Tonnen an Stahl, Glas und Beton aufwendet, um über Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit zu informieren, und dann die Bulldozer ordert, um alles nach sechs Monaten wieder abzuräumen, weil er sich vorher keine Gedanken gemacht hat, was danach aus dem Gelände - eingezwängt zwischen Autobahnzufahrten, trostlosen Industrieanlagen und einem Gefängnis - werden soll, macht sich unglaubwürdig.

Allen Unkenrufen zum Trotz hat die Expo nun aber trotzdem pünktlich eröffnet. Der italienische Hauptpavillon, der mit seiner weißen Fassade aussieht wie einer dieser billigen Koffer, die am Flughafen akribisch in Plastikfolie eingewickelt werden, bleibt einfach bis zum Ende der Expo leer. Italienischer Not-Pragmatismus. Ausgerechnet dieser Bau soll als einziger auf dem Areal stehen bleiben.

Doch bei aller Kritik: Gerade durch ihre Widersprüchlichkeit bildet die Expo unfreiwillig unsere Gegenwart glasklar ab. Denn auf dieser Weltausstellung stellt sich unser Planet aus. Schamlos. Mit all seinen von Menschen gemachten Problemen, mit den zum Himmel schreienden Ungerechtigkeiten und größenwahnsinnigen Global Player. In der Architektur und in der Art und Weise, wie diese kleine Stadt auf Zeit entstanden ist, spiegelt sich unsere Gegenwart. Alle Länder-Pavillons, Sponsoren-Paläste und Fressbuden machen das zusammen sichtbar. Wer in den nächsten Monaten nach Mailand reist und kritisch hinschaut, bekommt damit die Chance, das Machtverhältnis, das auf dieser Welt herrscht, besser zu verstehen.

Keinem Besucher kann etwa entgehen, wie viel Einfluss heute globale Firmenimperien haben. Eigentlich steht in den Statuten dieser Expo, dass kein Sponsoren-Pavillon an der 1,5 Kilometer langen Hauptachse, dem sogenannten Decumanus, stehen darf. Die erste Reihe ist den Ländern vorbehalten. Doch keiner hält sich daran. Wenn Papst Franziskus wie angekündigt die Expo besuchen wird und gleich am Eingang unter einer goldenen Madonna-Statue seine Messe halten will, wird er frontal in das herzförmige Logo von Algida blicken, der Eiskette von Unilever. Schon ein paar Meter davor, ebenfalls in vorderster Reihe, empfängt der Geldschalter-Pavillon von Intesa San Paolo, einer der Hauptsponsoren, so als wäre die Bank ein Staat. Noch dreistere Beispiele, weil deutlich größer und im Ausmaß von, sagen wir mal, Irland oder Monaco, gibt es viele: Die Schokoladenfirmen Lindt und Perugina haben gleich mal eine kleine Industriehalle aufgebaut, in der sie ihr Werbematerial auf Großleinwand präsentieren. Auch McDonald's hält nicht viel von Versteckspielen, das Firmengebäude - neben dem weidenkorbförmigen Länder-Pavillon von Katar und dem Bierpilz der Brauerei Birra Moretti - gleicht einem gewöhnlichen McCafé auf's Haar. Im Inneren kann man über Bildschirme die üblichen Mc-Menüs ordern. Wie man damit in Zukunft die Weltbevölkerung satt bekommen soll, ohne dabei unseren Planeten restlos zu zerstören, bleibt das Geheimnis der Expo-Organisatoren.

Über das Erbe Italiens muss sich ernsthaft Sorgen machen, wer die italienischen Nebenpavillons besucht. Am sogenannten Cardo, der anderen großen Straße, die den Decumanus auf halber Strecke kreuzt, stehen Stahlbetonboxen, in die man in letzter Sekunde Ausstellungen zu Themen wie Wein oder Salami gestopft hat. Doch Ausstellungen möchte man das eigentlich nicht nennen. Das Weinland Italien lässt eine seiner größten kulinarischen Errungenschaften darin zum Beispiel von der Messe Verona präsentieren. Was dabei herauskommt, ist klar: der Ausverkauf des eigenen Erbes. Zwischen dünnschissartigen Skulpturen und handgemalten Fresken, für die sich jedes italienische Restaurant in Wuppertal schämen würde, sind nicht mehr als ein paar Worte in goldener Schrift in die schwarzen Marmorpaneele eingraviert. Über den Nachbau einer gigantischen Traube geht's in den ersten Stock, wo 1468 Weine getestet werden können. Mittels "High-Tech-Dispensern" - eine Weltneuheit - darf sich der Besucher, sprich der Kunde, schluckweise und für jeweils 40 Cent die Weine in seine Becher spritzen lassen. Was man hier sieht, bildet 1:1 die Entwicklung ab, die in der wirklichen Welt den öffentlichen Raum vernichtet. Kaum eine Innenstadt, ein Bahnhof oder ein neues Stadtviertel auf dieser Erde, wo die politischen Entscheidungsträger gerade nicht den Ausverkauf des Gemeinguts im Dienste des Neoliberalismus befeuern.

Die Expo macht aber auch sichtbar, was von den grünen Nachhaltigkeits-Siegeln zu halten ist, die sich immer mehr Gebäude, aber auch Firmen ans Revers pappen. Zwar grünt und blüht es auf dem ganzen Areal, doch die meisten kaschieren damit nur ihr energiehungriges Innere. Der US-Pavillon etwa, der verspricht über "American Food 2.0" aufzuklären und der jeden Besucher mit einer Video-Botschaft von Präsident Barack Obama empfängt, ist eine massive Stahlbetonkonstruktion. Wie die nach der Expo wieder abgebaut werden soll, weiß nicht mal der Bauleiter. Zur Eröffnung freute er sich lieber über die begrünte Fassade. Die einzelnen Paneele lassen sich mechanisch steuern. Um die Pflanzen in den weißen Trögen zur Sonne hin auszurichten? Ach was. Die Mechanik dient allein dem Show-Effekt. Nachts wird das Gemüse kräftig angestrahlt, geerntet wird es nicht.

Dass es auch anders geht, zeigt der deutsche Pavillon. Der nimmt sich entspannt zurück und lässt seine Besucher erst einmal über eine breite Holzrampe und unter hübschen Solarbäumen übers weitläufige Deck spazieren, von wo man nicht nur einen spektakulären Blick über das Wirrwarr der Dachlandschaft hat, sondern bei guter Sicht auch auf die schneebedeckten Berge in der Ferne. Diese bescheidene Haltung entspricht dem krassen Gegenteil von Länder-Pavillons, die über auftrumpfende Größe (China) oder spektakuläre Form (Russland) ihre Stellung in der Welt klarmachen wollen. Doch vor allem nimmt die Architektur des deutschen Pavillons seine Aufgabe ernst, nur temporär hier stehen zu dürfen. Das Münchner Büro Schmidhuber hat den Bau als Leichtbaukonstruktion entworfen.

So etwas wie eine architektonische Kür darf man trotzdem nicht erwarten, dafür muss der Pavillon zu viel können. Es wird eine VIP-Lounge benötigt, um die man Besucher wie Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck nicht wirklich beneidet; ein riesiges Restaurant muss es ganz unten geben und dazwischen eine Black Box für die Ausstellung. Womit wir bei dem Part des insgesamt 48 Millionen Euro teuren Projekts wären, der wirklich wehtut. Das ist die Ausstellung im Inneren. Die Schau mit dem nichtssagenden, dafür PR-tauglichen Titel "Fields of Ideas" bereitet schon nach fünf Minuten Kopfschmerzen. Überall tönt, blinkt und gurgelt es. Wer will, kann sich als Karotte fotografieren lassen. Die 200 Exponate zu den Themen Boden, Wasser, Klima, Artenvielfalt und Lebensmittel füllen den Pavillon bis in die letzte Ecke. Das sind mindestens vier Themen und 180 Exponate zu viel. Der Besucher hat nicht die geringste Chance zu begreifen, was ihm Deutschland damit sagen will.

Was also bleibt von der Expo und den Beiträgen der 148 teilnehmenden Nationen und Organisationen? Vermutlich nicht viel außer einem gewaltigen Brachland und dem Wissen, dass die Welt nur eine Weltausstellung braucht, wenn sie dort auch zeigt, wie es besser gehen würde. Wenn die Architektur beweisen könnte, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Slogan ist, die Ausstellung aufklären würde, statt nur LED-Shows mit Werbematerial auf die Besucher abzufeuern, und vor allem: Wenn die Probleme unserer Gegenwart ernst genommen werden würden, statt sie mit großem Orchester zu übertönen.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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