Vorschlag-Hammer:Viel Walzer

Lesezeit: 1 min

Beethovens "Neunte" oder "Die Fledermaus": Die einen wollen zum Jahreswechsel offensichtlich nicht auf Schillers Appell, dass alle Menschen Brüder werden, verzichten, die anderen wollen es beschwingt und vielleicht sogar leichtfertig haben, wenn der Prinz Orlofsky und seine Gäste die Majestät des Champagners anerkennen

Kolumne von Harald Eggebrecht

Es hat schon etwas von einem ehernen Gesetz an sich, dass, musikalisch gesehen, offenbar kein Silvester stattfinden kann, ohne dass irgendein Orchester Beethovens "Neunte" spielt oder in irgendeinem Theater "Die Fledermaus" von Johann Strauß über die Bühne geht. Die einen wollen offensichtlich nicht auf Schillers Appell, dass alle Menschen Brüder werden, verzichten, die anderen wollen es beschwingt und vielleicht sogar leichtfertig haben, wenn der Prinz Orlofsky und seine Gäste die Majestät des Champagners anerkennen. Doch auch Schiller lässt in seiner Ode an die Freude den Wein hoch leben: "Brüder, fliegt von euren Sitzen,/ Wenn der volle Römer kreist,/ Laßt den Schaum zum Himmel sprützen:/ Dieses Glas dem guten Geist." Allerdings hat ausgerechnet Beethoven diese feuchtfröhlichen Verszeilen nicht vertont in seiner finalen Kantate, dabei war er doch ein rechter Trinker.

Wer aber Anderes hören und sich solchen Ritualen wenigstens musikalisch entziehen will, hat es nicht leicht. Auch unmittelbar nach der Jahreswende gibt es noch immer viel barocke Trompeten und Orgeln, viel Walzermusik von Johann Strauß und anderen. Es ist, als ob das riesige Universum der Musik partout nicht mehr hergeben möchte als das Gewohnte, wenn es um die Feiern zum Jahreswechsel geht. Andererseits hat es auch etwas Beruhigendes an sich, dass viele wenigstens zu diesen Terminen einmal die "Neunte" in lebendiger Konzertsaalwirklichkeit erleben. Dann können sie erfahren, dass vor der Schlusskantate drei der ungeheuerlichsten Symphonie-Sätze der Musikgeschichte stehen: ein heftiger, dramatischer Kopfsatz, ein rasantes Scherzo mit wild dazwischenfahrenden Paukenschlägen und ein Adagio, dessen Landschaft sich unvorstellbar weit ausdehnen kann, vorausgesetzt, Dirigent und Orchester sind wirklich inspiriert und haben den langen Atem dafür.

Wer die Fledermaus liebt, darf dieses Mal im Nationaltheater tatsächlich nicht fehlen, denn der Gerichtsdiener Frosch wird niemand anderes sein als Gerhard Polt (31. Dezember und 6. Januar). Das hat Logik, denn einst spielte diesen betrunkenen Alltagsphilosophen nämlich auch der große Karl Valentin.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: