Vom Bahnhof zum Museum:Zwischen Akademie und Moderne

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Das Musée d'Orsay, Leihgeber der aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle, beherbergt hervorragende westliche Kunst von 1848 bis 1914. Ursprünglich diente das Gebäude, das direkt im Zentrum von Paris an der Seine liegt, als Bahnhof.

Von Johanna Pfund

Der Bau sollte von Anfang an beeindrucken. Am Ufer der Seine, auf halbem Weg zwischen der berühmten Île de la Cité, dem ältesten Stadtteil von Paris, und dem damals noch vergleichsweise modernen Eiffelturm, wurde die Gare d'Orsay nach nur zwei Jahren Bauzeit im Sommer 1900 eröffnet. Ein monumentales Bauwerk, das die Besucher der Weltausstellung im selben Jahr mit gebührendem Glanz empfangen sollte. Heute findet sich darin das Musée d'Orsay mit einer nicht minder beeindruckenden Sammlung an Gemälden, Skulpturen, Fotografien, Dekorativem; aus der nun gut 100 Exponate in der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle zu sehen sind.

Seit 1978 steht der einstige Bahnhof an der Seine unter Denkmalschutz

Die Geschichte der Museums-Sammlung ist so wechselvoll wie die des Gebäudes selbst. Der Bahnhof sollte die Verbindungen ins stetig wachsende Paris verbessern und pünktlich zur großen Weltausstellung 1900 seinen Betrieb aufnehmen. Der Architekt Victor Laloux machte sich in den 1890ern ans Werk: Laloux, der auch das Rathaus und den Bahnhof in Tours entwarf, setzte die Vorgaben der Auftraggeber ideal um: Die hinter einer Steinfassade verborgene Stahlstruktur fügte sich in die herrschaftliche Architektur der Umgebung ein, das Stahl-Skelett wies in die Zukunft. Ein Meisterstück der Belle Époque. Doch auch die Stahlkonstruktion konnte nicht verhindern, dass das Gebäude den technologischen Neuerungen nicht gewachsen war. Nur knapp vier Jahrzehnte nach seiner Inbetriebnahme war der Bahnhof für Fernzüge zu klein geworden. Das ebenfalls im Gebäude untergebrachte Hotel hingegen empfing weiter Gäste, hier verkündete etwa Charles de Gaulle 1958 seine Rückkehr in die Regierung. Allen zeithistorischen Großmomenten zum Trotz stand das Gebäude nach der Schließung des Hotels 1973 zur Disposition. Abriss oder nicht? Ein neues Hotel? Doch dann trat die Direktion der Museen Frankreichs mit dem Plan auf, ein Museum einzurichten. Und nachdem der Bahnhof 1978 unter Denkmalschutz gestellt worden war, hatte sich auch die Frage nach dem Abriss erledigt. So waren die Weichen gestellt. Im Dezember 1986 öffnete das Musée d'Orsay.

Um die ebenso umfangreiche wie hervorragende Sammlung wird das Haus beneidet: maßgebende Werke der westlichen Kunst aus der Zeit zwischen 1848 und 1914. Gemälde des Realismus, des Impressionismus, des Symbolismus, Skulpturen von Claudel und Rodin, Kunsthandwerk des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit Stühlen, Schränken, Wandvertäfelungen oder Objekten, dazu eine grafische Sammlung sowie Architektur. Ende der Siebzigerjahre begann man auch, gezielt die Fotografische Sammlung anzulegen.

Das Museum konnte über reichlich Startkapital verfügen, denn das Gros des Bestandes stammt aus nationalen Sammlungen: aus dem Louvre für die Kunstwerke, die von 1820 an entstanden sind; aus dem Musée du Jeu de Paume, das seit 1947 dem Impressionismus gewidmet war; und aus dem Museum für Moderne Kunst, das seit seiner Einrichtung 1976 im Centre Georges Pompidou nur noch Werke von Künstlern behält, die nach 1870 geboren sind.

Ihren Ursprung aber haben die meisten gesammelten Werke im Musée du Luxembourg, das Ludwig XVIII. im Jahr 1818 für die Werke lebender Künstler ins Leben gerufen hatte. Die Werke von Künstlern, "die es zu großem Ansehen gebracht hatten", sollten zehn Jahre nach dem Tod dann aus dem Luxembourg in den Louvre überführt werden. Aber wo fand man die wichtigsten Künstler, deren Arbeiten? Im Salon in Paris, der zu jener Zeit als die wichtigste Kunstausstellung der Welt galt. Die Auswahl wurde von einer Jury getroffen - und so spiegeln die Werke den gängigen Geschmack der Akademie wider. Historienbilder, Porträts und klassische Landschaften bestimmten die Auswahl - und eine Vorstellung davon, was damals offiziell als schön galt und gut verkauft wurde, bekommt man jetzt in der Kunsthalle in München.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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