Varoufakis in Berlin:Spuck's aus 

Lesezeit: 2 min

Der griechische Ex-Finanzminister, ein großer Showman, stellt sich in der Berliner Volksbühne den Fragen zu den vergangenen und womöglich kommenden Krisen. Nachgefragt wird wenig. Varoufakis ist so selbstverliebt wie eh und je.

Von Gustav Seibt

Vor einem Jahr traf die europäische Linke ein Schock: Die Griechenlandrettung war in Wirklichkeit eine Rettung der Banken! Neunzig Prozent der Gelder flossen gar nicht nach Griechenland! Offenbar glaubten die Vordenker materialistischer Gesellschaftsanalyse bis zu diesem Zeitpunkt, Staatsschulden würden in den Matratzen der Bürger aufbewahrt. Yanis Varoufakis, der griechische . . . aber das weiß ja jeder, Varoufakis also, der am Dienstagabend seinen ersten Deutschland-Auftritt als "public intellectual" an der Berliner Volksbühne absolvierte, machte noch einmal ein großes Gewese um diese Einsicht.

Der Außenseiter des Systems, der immer wieder sein Einverständnis mit einem gemütlich glucksenden Publikum ausspielte, legte ebenso großen Wert darauf, aus seinen Diskussionen mit "Wolfgang", "Mario" oder "Christine" so vertraulich zu berichten, als säßen sie mit auf der Bühne in den altmodischen Clubsesseln mit ihrem DDR-Retro-Charme. Aber da hatten nur Guillaume Paoli, der Vordenker der "Glücklichen Arbeitslosen", der italienische Urgesteinsmarxist Franco ("Bifo") Berardi und der kroatische "Aktivist" Srećko Horvat Platz genommen. Horvat ist der junge Mann, der 2010 die durch Jan Böhmermanns Fake-Fake berühmt gewordene Konferenz organisierte, bei der Varoufakis seine derbe Fingergeste zeigte. Ach, das waren Zeiten! Varoufakis zeigte sich bemüht, dem deutschen Publikum (das aber zu einem erheblichen Teil aus Expats aller Länder bestand) weitere Vorwürfe zu ersparen. Es seien "eure" (unsere!) Steuergelder gewesen, mit denen der größte und verrückteste Kredit der Weltgeschichte, nämlich der an einen bankrotten Staat, mitfinanziert wurde. Das wäre frappierender gewesen, wenn man diese Geschichte nicht schon so oft gehört hätte.

Auch "Wolfgang" sei insgeheim seiner Meinung, erklärte Yanis. Je, nun, eine kritische Moderation hätte hier ja nachfragen können, woran es dann lag, welche Banken mit welchen Kunden auf wessen Drängen überhaupt "gerettet" wurden? Waren deren Sparer etwa Menschen wie du und ich? Italiener? Franzosen? Große, ungestellte, unbeantwortete Fragen. Berardi, der in einer Wörtlichkeit, die selbst auf einer Theaterbühne erstaunt, die Kunst des Händeringens und der verzweifelten Tonlage beherrscht, gab sich als Apokalyptiker: Ein neuer faschistischer Bürgerkrieg drohe, aus Armut genährt, warum? Weil es keine "sub-jec-tiv-ity" mehr gebe, die die "Finanzmaschine" stoppen oder "dekonstruieren" könne. Demokratie funktioniere nicht! Was er mit "subjectivity" meinte (ein historisches Subjekt, gar eine Klasse? - es wurde nicht nachgefragt auf der kritischen Volksbühnenbühne. Yanis ist weniger pessimistisch, er hat einen "Plan B" - europäische Parteien sollen sich "im Netz vernetzen" und für ein Ausgabenprogramm für Arme agitieren. Wenn in allen Briefkästen ein Scheck liege, von Mario selbst unterzeichnet, dann sei der Spuk der Eurofeindschaft schnell vorbei!

Interessant war es aber doch. Varoufakis' Art zu sprechen, seine unentwegten Selbstunterbrechungen im Stil von Anfängervorlesungen mit "why? let me explain!" (Warum? Ich erklär's euch!) müssen bei raschen Köpfen wie Mario, Wolfgang und Christine irrsinnig anstrengend gewirkt haben. "Yanis, spuck's aus!" hätte man dem selbstverliebten Redner immer wieder gern zugerufen. Interessant ist auch der intellektuelle Bankrott der Volksbühne, die ein derart homogenes Podium für Gegenöffentlichkeit hält.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: