USA:Lob der Lügner

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John Ashby gilt als einer der berüchtigsten Gangster und Schnapsschmuggler des frühen 20. Jahrhunderts. In seinem neuen Roman "Red Grass River" reflektiert James Carlos Blakes über Mythenbildung.

Von Sofia Glasl

Wenn die Puffmutter bei deiner Rückkehr nach zweijähriger Abwesenheit in Freudentränen ausbricht, kannst du dir etwas darauf einbilden. In James Carlos Blakes Roman "Red Grass River" erhält der berüchtigte Gangster John Ashby zumindest den ein oder anderen Schulterklopfer. Das mag Fiktion sein, historisch belegt sind jedenfalls Ashbys Gesetzesverstöße, Gerichtsverfahren und Gefängnisausbrüche, die der "König der Everglades" in seiner Laufbahn zu verbuchen hatte. Ashby war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Floridas Sumpflabyrinth zu Hause und kannte sich dort aus wie kein zweiter. Niemand sonst hätte die Schnapslieferungen unbemerkt durch das Unterholz zu den Indigenen manövrieren können als Ashby, der Sohn des Schwarzbrenners Old Joe. Dass einer der belieferten Indianer plötzlich eine Waffe zückte, dafür konnte er letztendlich nichts und sein Schuss war Notwehr. Das war 1911 und John Ashby 18 Jahre alt.

James Carlos Blakes Roman folgt Aufstieg und Fall dieses Gesetzlosen und füllt dabei die verbrieften Fakten mit Leben. Aus dem Revolver schwingenden Anführer der Ashby-Gang wird dabei in der fiebrigen Hitze der Everglades eine schillernde Mischung aus Familienmensch, gewaltbereitem Adrenalinjunkie und Frauenheld. Kurz vor seinem ersten Mord spannt Ashby seinem Kumpel Bob Baker die Freundin aus. Der schwört erbitterte Rache. Dass Bob der Sohn des Sheriffs ist, erschwert die Sache und eine über Jahrzehnte währende Blutfehde beginnt.

Langsam wie ein Ruderboot durch dichtes Schilf manövriert sich Blake durch dieses Gangsterepos. Jede verbürgte Figur schmückt er anekdotisch aus: Der grüblerische, Banjo spielende Bruder Bob, der mit dem Sheriff den selbstgebrannten Whisky trinkende Vater. Die Wildnis der Sumpflandschaft spiegelt sich in der psychosozialen Wildnis dieser kleinen Gemeinschaft, die sich immer weiter an den Ashbys und ihrem illegalen Handelsmonopol ausrichtet. Das Morbid-Schleppende, das Blake dieser Gegend einschreibt, macht den vordergründig historischen Roman zu einem Südstaaten-Noir, zu einem Prohibitions-Blues, der die Psyche einer ganzen Generation analysiert. Der Sippe aus Schnapsbrennern und Bankräubern stellt er in mehreren Intervallen immer wieder die eigene Mythenbildung gegenüber.

James Carlos Blake: Red Grass River. Aus dem Englischen von Stefan Lux. Liebeskind, München 2018. 528 Seiten, 24 Euro. E-Book 17,99 Euro. (Foto: N/A)

Bereits im als "Liars Club" betitelten Prolog berichtet ein anonymer Ich-Erzähler von seiner Jugend im Dunstkreis der Ashbys. Damals saßen die Dorfältesten palavernd beim Barbier und gaben die Storys und Legenden an die Jugend weiter. Ihre Philosophie scheint Blakes Vorgehensweise nicht unähnlich zu sein: "Jeder weiß, dass die einfachen Tatsachen allein nicht notwendigerweise die Wahrheit erzählen. Manch einer kann den ganzen Tag nur wahre Fakten von sich geben und dabei doch lügen. Auf der anderen Seite kann eine Geschichte, die hier und da ein wenig großzügig mit den Fakten umgeht, so viel Wahrheit enthalten, wie man sich nur wünschen kann." Der Klub der Lügner fungiert als chorischer Kommentator der Mythenbildung und zeigt auf, wie deren Mechanismen funktionieren. Das nimmt bisweilen komische Züge an, etwa wenn Bob Baker bei der Observation des flüchtigen Ashby in einen Hinterhalt gerät und am nächsten Morgen ohne Polizeiwagen, Waffe und auch ohne sein Holzbein auf dem Highway aufgegriffen wird. In Windeseile und unter Gelächter verbreitet sich im Dorf die Nachricht, dass John Ashby seinem Widersacher unter vorgehaltener Waffe das Bein abnahm und ihn in der Wildnis zurückließ. Der Liars Club indes hat eine andere Version: Ashby habe damit nichts zu tun gehabt, Baker habe das Bein einfach im Unterholz verkeilt zurücklassen müssen. Den Mythos des draufgängerischen John Ashby befeuert selbstredend die erste Fassung und wenn die Wahrheit nicht überprüfbar ist, wird eben der Mythos zur Wahrheit.

James Carlos Blake hat dieses Prinzip in seinen nunmehr 13 Romanen perfektioniert. Fast alle handeln von historischen Outlaws, Gangstern und Außenseitern, denen er abseits des zugeschriebenen Volksheldentums sowohl ein Innen- als auch ein Sozialleben zugesteht: Pancho Villa, die Dillinger Gang oder der sich zum Weltmeistertitel hochboxende Schläger Stanley Ketchel. "Red Grass River" ist erst der dritte von Blakes Romanen, der ins Deutsche übersetzt wurde. Der Chronist der Verdammten kann endlich auch hier entdeckt werden.

© SZ vom 06.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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