Uffizien-Direktor:Kurze Wege zu Botticelli

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Angesichts des Besucherandrangs möchte der neue Direktor der Florentiner Uffizien, der Deutsche Eike Schmidt, das Museum umstrukturieren und auch Stippvisiten ermöglichen.

Interview von Thomas Steinfeld

Die Uffizien in Florenz sind das beliebteste Museum Italiens. Der neue Direktor Eike Schmidt, ein Freiburger, spricht über neue Wege zu den alten Meistern und die Schwierigkeit, die Sicherheit von Gästen und Werken zugleich zu gewährleisten.

SZ: Die italienische Presse war zu großen Teilen wenig freundlich, als Ihre Ernennung zum Direktor der Uffizien öffentlich wurde. Und einige der bekannten italienischen Kunsthistoriker waren es auch nicht: Man warf dem Kulturminister vor, die italienische Kunsthistoriker zu "demütigen" und ihre Kompetenz zu missachten.

Eike Schmidt: In diesen Auseinandersetzungen ging es weniger um die Personen als um strukturelle Entscheidungen. Die meisten italienischen Museen, auch die großen, sind stark durch die Orte und Regionen geprägt, in denen sie stehen. Sie haben starke Traditionen und ihr eigenes Umfeld. Das gilt auch für die Uffizien, die zuerst ein Museum in Florenz sind, dann eines in der Toskana und dann eines in Italien - und schließlich eines der großen Museen der Welt. Als Dario Franceschini, der für die italienischen Kunstschätze verantwortliche Minister, beschloss, die Direktorenposten für einige der wichtigsten italienischen Museen international auszuschreiben, entschied er sich auch gegen ein seit Langem bestehendes Modell. Es ist nicht erstaunlich, dass es daraufhin Debatten gab.

I hr Vorgänger, der Manierismus-Kenner Antonio Natali, schien persönlich getroffen zu sein.

Antonio Natali kenne ich, seitdem ich am Deutschen Kunsthistorischen Institut hier in Florenz an meiner Doktorarbeit saß, und wir haben über die Jahre an verschiedenen Ausstellungsprojekten zusammen gearbeitet. Ich habe ihn gebeten, bis zu seinem Ruhestand in etwa einem Jahr weiter an den Uffizien zu wirken und er hat das gerne angenommen. Ich bin mir sicher, dass sein kunsthistorischer Beitrag zur Neueinrichtung der Uffizien bedeutend sein wird, auch wenn es offensichtlich nicht im Sinne der italienischen Kulturpolitik war, ihn im Amt zu bestätigen.

Vermutlich nicht, denn ihr kommt es ja offenbar auf zweierlei an: zum einen darauf, einer Entwicklung gerecht zu werden, in der immer mehr Besucher sich auf immer weniger Kulturstätten konzentrieren, zum anderen darauf, nicht zuletzt deswegen eine zentralistische Struktur für diese Kulturstätten zu schaffen.

Ja, und schließlich geht es darum, für ein solches großes Museum, wie die Uffizien eines sind, einen organisatorischen Aufbau zu schaffen, in dem man mit diesen grundsätzlich veränderten Voraussetzungen umgehen kann. Das ist eine gewaltige Aufgabe, ein Eisberg, und ich bin mir nicht sicher, ob ich dessen wahre Tiefe schon ganz ausgelotet habe.

Worin besteht die Spitze des Eisbergs? In der Zahl der Besucher. Ungefähr zwei Millionen Menschen besuchen die Uffizien pro Jahr. Das ist das meistbesuchte Museum der Welt, auf die Fläche bezogen, und die gesamte Anlage ist auf einen solchen Andrang nicht eingerichtet. Die Schlangen vor dem Eintritt sind unerträglich lang, und es hilft auch nicht, dass diejenigen Besucher, die über das Internet ihren Eintritt im Voraus für ein bestimmtes Zeitfenster buchen, dafür einen Preisaufschlag von 30 Prozent in Kauf nehmen müssen.

Wollen Sie ein paar Besucher wieder nach Hause schicken?

Nein, selbstverständlich nicht. Aber es gibt mehrere Möglichkeiten, mit den vielen Menschen umzugehen. Eine besteht darin, Itinerarien zu schaffen, sodass Besucher, die es vielleicht nur zu fünf oder zehn Werken zieht, auf anderen Wegen durch das Museum unterwegs sind als die Menschen, die unsere Sammlung gründlicher kennenlernen wollen. Es gibt hier im Haus zum Beispiel mehrere Treppen, die nicht genutzt werden. Im Louvre gibt es drei verschiedene Hauptwege, hier sollten zwei möglich sein, ermöglicht durch die beiden großen Baukörper der Uffizien. Gegenwärtig bewegen sich die Menschen oft in großen Pulks von Saal zu Saal.

Gut, dann kommt zuerst und sofort der "Frühling" oder die "Venus" von Botticelli, und danach gehen die Leute essen.

Das darf man nicht so verächtlich sehen. Es ist doch großartig, wenn die Menschen die "Venus" von Botticelli sehen, das ist doch ein wunderbarer Frauenkörper, und es ist erhebend, ihn zu betrachten, und auch die Gestalten um ihn herum sind hochinteressant, der Windgott, die Nymphe. Man muss nicht Kunstgeschichte studiert haben, um daran eine Freude zu haben. Andere Leute sind gründlicher, wollen mehr wissen und mehr sehen, aber das Museum ist auch für die Bewunderer Botticellis da.

Reicht es denn aus, neue Wege zu schaffen?

Nein, man kann noch viel mehr tun. Man muss zum Beispiel mehr Platz um die wichtigsten, bekanntesten Werke schaffen. Die Räume um sie herum müssen weit sein. Die Uffizien sind ja gegenwärtig in einem großen Umbau begriffen, von dem im Jahr 2018 der zweite Abschnitt abgeschlossen sein soll. Im Zuge dieser Umbauten wird es, vor allem im ersten Stock, wo früher Verwaltungsräume lagen, wesentlich mehr Platz geben. Das wird uns nicht nur erlauben, mehr Werke auszustellen als die etwa tausend Gemälde, die gegenwärtig zu sehen sind, sondern auch, der gesamten Anlage eine neue, großzügigere Struktur zu verleihen.

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(Foto: Dan Dennehy/dpa)

Eike Schmidt, geboren 1968, studierte Kunstgeschichte in Freiburg. Er arbeitete in Museen in Washington, Los Angeles und Minneapolis, unterbrochen von einem Jahr bei Sotheby's, bevor er in diesem November Direktor der Uffizien wurde. (Foto: Dan Dennehy/dpa)

Die Abfolge der Säle innerhalb der Uffizien ist historisch gewachsen. Einige Räume gehen in ihrem Aufbau und in ihren darin gezeigten Werken noch auf die Gründungszeit des Museums, also auf das späte sechzehnte Jahrhundert zurück. In den Uffizien folgten die Säle bislang der Chronologie, mit dem Mittelalter vorneweg, bis hin zu Giotto, und die Ausländer irgendwo hinten. Und die Ausstellungs- oder Präsentationsgeschichte gehört genauso zu einem Museum, wie es die Sammlung tut. Wollen Sie das ändern?

Ich denke, dass man mit solchen Vorgaben pluralistisch umgehen muss. Zum einen sind solche Abfolgen immer auch Entscheidungen: Wohin wollen Sie zurückgehen - auf das Jahr 1955 oder 1855 oder 1655? Zum anderen ist die Organisation vieler Teile der Uffizien erst in den Fünfzigerjahren oder im 19. Jahrhundert entstanden, sodass ich mich daran nicht unbedingt gebunden sehe. Unbedingt aber möchte ich die Räume erhalten, die seit den Frühzeiten des Museums fast unverändert sind, vor allem die "Tribuna" , so wie sie in Johann Zoffanys berühmtem Gemälde aus dem Jahr 1772 festgehalten ist, als einer der Hauptorte der "Grand Tour", die die jungen englischen Adligen durch Italien führte.

Zurück zum Eisberg. Was liegt denn unter der Wasseroberfläche, jedenfalls so weit Sie sehen können?

Unter der Wasseroberfläche liegen zunächst Fragen der Sicherheit. Das schlimmste Ereignis der vergangenen Jahrzehnte war der Bombenanschlag im Jahr 1993 auf das Museum, bei dem fünf Menschen starben und der Saal der Niobe schwer beschädigt wurde. Die Fresken konnten ja nicht mehr restauriert werden. Und dann gab es noch das Unwetter aus dem Jahr 2007, als Wasser durch die Decken drang. Es gab hier keinen größeren Diebstahl oder gar einen Raub wie unlängst in Verona. Und dennoch gibt es auf diesem Gebiet noch einiges zu verbessern. Darüber hinaus: Es geht eigentlich nicht, dass einige periphere Bereiche des Museums immer wieder geschlossen werden müssen, wenn nicht genügend Wachleute da sind.

Und was liegt darunter, unten im Eisberg?

Darunter liegen die Verwaltung, die Organisationsstruktur, die alten Verträge. Dass die Uffizien ein Haus mit einer alten Tradition sind, bedeutet eben auch, dass da sehr viel gewachsen ist, was seit Langem nicht mehr geprüft wurde. Daran zu arbeiten, das kostet mich gegenwärtig den größten Teil meiner Arbeitszeit. Es ist vielleicht nicht notwendig, dass der Shop, der einem zeitgemäßen Museum sehr viel zur Kostendeckung beiträgt, ein unabhängiges Unternehmen ist, das auf eigene Rechnung arbeitet - schließlich soll das Museum ja daran verdienen. Und, ach, es gibt so viel, was noch zu tun ist: ein einheitliches Beschriftungssystem zum Beispiel, nicht nur für die Wege durch das Museum, sondern auch für die Kunstwerke. Bei vielen gibt es gar keine Beschriftungen, und bei anderen werden wir ausschließlich auf den Spender verwiesen, der vor zehn Jahren eine Säuberung bezahlte, und ansonsten steht da gar nichts.

Vermutlich wussten Sie ja, was auf Sie zukommt, als Sie den Anruf des Ministers bekamen, der Sie zum Direktor der Uffizien machte.

Ja und nein. Dieser Anruf kam früh morgens, noch zu nachtschlafender Zeit, und er überraschte mich wirklich. Ich will jetzt meine ganze Zeit und meine ganze Kraft für die Uffizien verwenden.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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