Turmbau von Vals:Luxus, ultrahoch

Lesezeit: 4 min

Im Vergleich zu den Bergen drum herum sei der 380 Meter hohe Hotelturm von Vals überhaupt nicht hoch, meint der Architekt Thom Mayne. (Foto: 7132 AG)

Stararchitekt Tadao Ando und Co. wollen ein Superhotel in den Bündner Bergen bauen. Es geht um Millionen.

Von Charlotte Theile

Tadao Andō, einer der bekanntesten Architekten der Welt, steht an einem kühlen Sonntagabend Anfang Oktober im Schatten der Bündner Berge und versucht das Unmögliche: Er soll die Bürger von Vals, einem kleinen Dorf im Kanton Graubünden, überzeugen, dass sich gerade hier, im Tal, der höchste Hotelturm Europas besonders gut machen würde. Der 74-jährige Japaner ist ein Sympathieträger. Während er den Entwurf eines großflächigen Parks, der am Fuße des Turms entstehen soll, vorstellt, wird immer wieder gelacht. "Das Leben als solches ist ziemlich gut" hat Andō gerade gesagt, jetzt schlägt er ein Dorf vor, "in dem alle hundert werden". Wer sollte da schon etwas dagegen haben?

Das Problem ist aber nicht so sehr Andōs Park. Es ist dieser Turm. 380 Meter hoch, der höchste Wolkenkratzer Europas. Ein gläsernes Luxushotel in den Wolken, designt für all jene, die am liebsten mit dem Privathubschrauber anreisen. Ultra High Net Worth Individuals heißen sie im Banker-Jargon. Und bei Ultra High stehen die Chancen gut, dass jeder, der nur mit einigen Milliprozent beteiligt ist, ziemlich wohlhabend aus der Sache herausgeht.

So könnte man die Überlegung vereinfachen, die hinter dem 440 Millionen Franken (etwa 400 Millionen Euro) teuren Bauplan steht, der den Valsern an diesem Abend präsentiert wird.

Remo Stoffel, 38, steht in grünen Cordhosen und kariertem Jackett ein paar Meter neben Andō. Stoffel kommt aus Vals. Sein Unternehmen macht Geld mit Immobilien, es wird auch dieses Projekt finanzieren. Ob Stoffel die Mittel hat, fragen sich viele Valser. Der Remo habe Steuerschulden, heißt es immer wieder. Es ist nicht lange her, dass er wegen Gläubigerschädigung verurteilt wurde. Nun habe er aber genügend Geld, versichert er, der Bau werde bald beginnen.

Doch bevor es so weit ist, müssen die Valser zustimmen, ohne Abstimmung geht in der direkten Demokratie nichts. Auch deshalb hat Stoffel an diesem Abend das Dorf zu Wein und Schinkenplatte eingeladen.

Diverse Pritzker-Preisträger sind in den Bündner Bergen eifrig am Werk

Und nicht nur Tadao Andō ist eingeflogen worden. Auch der Amerikaner Thom Mayne, der den Turm namens "Femme de Vals" entworfen hat - ein Pritzker-Preisträger wie Andō -, spricht zu den Einheimischen. Er kenne das Bergdorf seit Jahrzehnten, schmeichelt er, es sei gewissermaßen der Goldstandard der Architektur. Schließlich hat der Schweizer Peter Zumthor, ebenfalls ein Pritzker-Preisträger, vor zwanzig Jahren den ersten großen Wurf gelandet: Eine Therme aus lokal abgebautem grauen Quarzitstein, ein Tempel für Schweizer Bildungsbürger und Architekturfans aus aller Welt.

2012 entschied Vals, nicht länger auf Zumthor zu setzen, sondern die Therme an den Immobilienhändler Stoffel zu verkaufen. Stoffel will das ganz große Geld anziehen. Zwischen 1000 und 25 000 Franken sollen die 107 Suiten und Zimmer pro Nacht kosten. Die größte Suite, Penthouse genannt, erstreckt sich über fünf Stockwerke und 1200 Quadratmeter. Gäste, die das Penthouse mieteten, hätten vermutlich nicht nur "reine Freizeitmotive", vermutet die 7132 AG, Stoffels Firma in Vals, zu der auch die Therme gehört. Ihr Aufenthalt werde "einer Kombination von Freizeit und Geschäftszwecken dienen".

Für die Valser Bevölkerung, die seit Jahrzehnten mit dem Motto "1000 Einwohner, 1000 Schafe, 1000 Gäste" lebt, klingt das abgehoben. Doch auch sie wissen: Der Schweizer Tourismus ist in der Krise. Bergtouristen aus Deutschland und Frankreich bleiben weg, für Familien ist die Schweiz seit einigen Jahren schlicht zu teuer. Einige Hoteliers versuchen, Stammgäste mit Sonderangeboten zu halten - und machen zunehmend weniger Gewinn.

Vals hat eine andere Strategie: In den von bekannten Architekten gestalteten Hotelzimmern der Therme kostet die Übernachtung mit Frühstück ab 450 Franken. Auch der Eintritt für die Therme wurde 2014 verdoppelt: 80 Franken zahlt ein Erwachsener, 52 ein Kind. Stoffels Hotelgäste nutzen die Therme gratis - was die anderen Häusern im Ort zunehmend an den Rand drängt. Stoffel ist überzeugt: Schweizer Tourismus hat nur eine Chance, wenn er Gewinnmargen erzielt. Und die bekomme man nicht über Rabatte, sondern über Kundschaft, die bereit ist, noch viel höhere Preise zu zahlen. Scheichs mit Entourage. Filmstars. Immobilienspekulanten.

"Immer reden alle von Scheichs. Wenn sie kommen wollen, gerne. Aber es geht doch nicht darum."

Pius Truffer, der Mann, der in Vals den grauen Stein abbaut, seufzt. "Immer reden alle von Scheichs. Wenn sie kommen wollen, gerne. Aber es geht doch nicht darum." Stattdessen spricht er von Impulsen für die lokale Bauwirtschaft, all den jungen Bündnerinnen und Bündnern, die rund um die Femme de Vals Arbeit finden würden. Truffer unterstützt Stoffels Pläne. Aber er weiß, dass das Projekt es bei den skeptischen Valsern schwer haben wird.

In der Ausstellung, die an diesem Sonntagabend feierlich eröffnet wird, geht es vor allem darum, das Superlativ-Hotel als eine ganz natürliche Weiterentwicklung des Orts zu beschreiben. In Relation zu den Bergen sei der 380 Meter hohe Wolkenkratzer doch überhaupt nicht hoch, sagt Architekt Thom Mayne vor einer bunt leuchtenden Animation. Er scheint recht zu haben: das Modell ist so geschnitten, dass der schmale Turm zwischen weitem Tal und hohen Bergen nicht besonders bedrohlich wirkt. Pius Truffer steht daneben und wiederholt in jedem Gespräch, dass auch die Therme in den Neunzigerjahren sehr umstritten war - heute spreche man in Vals von "unserem Bad".

Zwei ältere Herren, die in bemerkenswerter Geschwindigkeit gratis Schinken und Wein konsumieren, glauben nicht daran, dass sie in fünf bis sieben Jahren - bis dahin soll der Bau abgeschlossen sein - von "unserem Turm" sprechen werden. Ob "der Remo das Geld" habe, sei gar nicht einmal die wichtigste Frage, es gehe um Geologie. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass das Hotelprojekt dem Mineralwasser Valser, heute im Besitz von Coca-Cola, gefährlich werden könnte. Stoffel und Co. betonen, nichts deute in diese Richtung.

Und das ist nicht der einzige Punkt, der das Bergdorf gegen Stoffel aufbringt: Als dieser 2012 gegen Zumthor antrat, versprach er dem Dorf einiges, unter anderem eine Mehrzweckhalle. Dort, wo das Gebäude geplant war, soll jetzt der Andō-Park entstehen. Ein Ort für Jugend, Sport und Beisamensein fehlt noch immer. Das Vertrauen der Valser in Stoffel ist damit wohl nicht gestiegen.

Wirksamer dürfte die Strategie von Tadao Andō sein. Am Ende seiner Rede überschlagen sich die Sätze förmlich, der Dolmetscher kommt kaum noch hinterher. Das hier sei jetzt nicht abgesprochen, aber, er finde: Jeder Einwohner dürfe eine Nacht kostenfrei in der Femme de Vals übernachten. Ein Millionenversprechen. Stoffel schaut ungläubig, reckt aber dann die Daumen nach oben.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: