Trump Town (XII):Der große, blonde Bruder

Lesezeit: 2 min

Jackie Kennedys Wagen steht zum Verkauf, ein BMW 3.0s von 1974. Ein großartiges Gefährt: Weil es garantiert nicht vernetzt ist, seinen Fahrer nicht ausspioniert wie die Wagen heute. Und was Trump mit all diesen Daten machen könnte!

Von Peter Richter

Der BMW von Jackie Onassis, ehemals Kennedy, steht in Florida zum Verkauf. Es handelt sich um einen 3.0s von 1974, türkis, beiges Leder, und dann auch noch mit breiter amerikanischer Stoßstange, wodurch er aussieht, als würde sein Haifischmaul der Welt die Zunge rausstrecken. Der Kulturkorrespondent hätte ihn wahnsinnig gern. Nicht nur, weil er zuständig ist für schöne Dinge in Amerika oder weil nur 75 000 Meilen auf dem Tacho stehen. Jackie Kennedy/Onassis fuhr damit jahrelang zwischen ihrer Wohnung auf der Upper East Side und dem Landsitz in New Jersey hin und her, und New Yorker Meilen zählen der mondartigen Straßen wegen doppelt. Was den Wagen die 295 000 Dollar wert macht, ist weniger die Vorbesitzerin als die Tatsache, dass er noch keine Daten über Fahrziele und Fahrverhalten an irgendwen senden kann.

Der Korrespondent ist es gewohnt, ein kulturpessimistischer Paranoiker genannt zu werden, weil er Neuwagen für Stasi-IMs auf Rädern hält. Da er schon mit dem Gefühl nicht falsch lag, dass Donald Trump die Wahl gewinnen könnte, möchte er, mutig geworden, hier eine weitere Voraussage treffen: Was uns in zunehmendem Maße Geld wert sein wird, ist Unvernetztheit. Wo noch mit Zettel und Stift gewählt wurde, wie im rührend altmodischen New York, gab es keinen Fälschungsverdacht. Nachgezählt werden muss dort, wo Computer eine Tür für Hacker boten. Nach all den Angriffen auf große Internetdienste, ganze Staaten und zuletzt die deutsche Telekom könnte man auf den Gedanken kommen, dass jemand, der den Anschluss aller Kühlschränke, Autos und Atomkraftwerke ans Internet für eine begrüßenswerte Idee hält, mit großem Anlauf vor eine Wand gerannt sein muss. Aber halt nur, wenn man ein kulturkonservativer Paranoiker ist.

Wird Trump uns bald beim Lesen seiner Tweets zuschauen können, wenn wir Nägel kauen?

New Yorker sind aber, wie die meisten Amerikaner, in der Regel zum Gegenteil entschlossen. Daher war hier die Überraschung groß, als durch Edward Snowdens Enthüllungen jetzt bekannt wurde, was man sich eigentlich auch so hätte denken können: dass nämlich das AT&T Building im Süden Manhattans, ein fensterloser Turm aus demselben Baujahr wie Jackie Kennedys BMW, die Adresse ist, an der von der NSA praktisch alle Gespräche der New Yorker aufgezeichnet werden. Hidden in plain sight, wie man so sagt. Diese Erkenntnis sickerte zufällig zur gleichen Zeit in die Köpfe, als auch die ersten Bürgerrechtsaktivisten besorgt daran erinnerten, wer von Januar an die Gewalt über diese Daten hat. Dass jemand, dem sein Wahlkampfteam zur Sicherheit zeitweise den Zugriff auf Twitter unterbinden musste, vielleicht nicht ausgerechnet die Atom-Codes in die unbeherrschten Finger kriegen sollte, das ist eine häufig geäußerte Sorge zur Zeit. Nur langsam dämmert vielen, dass dieser Mann bald auch Gelegenheit haben wird, die Reaktionen auf seine Twitterbotschaften zu betrachten: in den Zähnen polken, Nägel kauen, popeln, was Leute halt so machen, wenn sie denken, keiner schaut zu. Selbst wer das Kamera-Auge seines Computers inzwischen sicherheitshalber zuklebt, weil das selbst Mark Zuckerberg aus guten Gründen so macht, hat das seines Telefons in der Regel offen, schon der wichtigen Selfies wegen. Und schon bald, schrieb neulich der Atlantic Monthly begeistert, werden wir uns auf staubkorngroße Kameradrohnen freuen können, die zusammen mit einer immer avancierteren Gesichtserkennung sicherstellen, dass wirklich keiner mehr verloren geht.

Der Kulturkorrespondent ist so zwangsweise ein Kulturoptimismuskorrespondent. Er hat daher auch eine konstruktive Idee, wie man sich wappnen könnte. Dafür müsste man den Vorschlag von Sibylle Berg ernst nehmen, die neulich einen Burka-Zwang für Männer vorschlug, die ihre Frauen unter Burkas stecken. Man müsste ihn nur umdrehen. Da westliche Werte gleiche Rechte für alle vorsehen, müsste es eigentlich auch nichtmuslimischen Männern erlaubt sein, auf diese Weise das Vermummungsverbot zu unterlaufen. Außerdem hätte der Korrespondent von der NSA in Zukunft gern die Transkripte seiner mit dem Smartphone aufgenommenen Interviews. Denn das Abtippen ist ihm immer die lästigste Arbeit.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: