Tragikomödie:Der Sommer der Stubenreinheit

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Todd Solondz gibt mit seinem Film "Wiener-Dog" dem Erzählen seine Unschuld zurück. Mit Danny DeVito und Ellen Burstyn, in einem Meer der Einsamkeit.

Von Fritz Göttler

Hundekacke und Mondlicht, daraus komponiert der Filmemacher Todd Solondz einen Moment ganz eigenartiger Poesie in seinem neuen Film "Wiener-Dog". Die Titelheldin, eine junge Hündin - Wiener-Dogs heißen in den USA die Dackel - hat einen Müsli-Riegel gefressen, den ihr junges Herrchen ihr mit den besten Intentionen darreichte, aber der ist ihr überhaupt nicht bekommen. In einer langsamen, langen Fahrt folgt die Kamera den wässrigen Wiener-Fäkalien, dazu die zarten Klänge von Debussys Klavierstück "Clair de lune".

Die erste Episode des Films nähert sich in diesem Moment ihrem strengen Ende, mit bitteren Konsequenzen für Wiener-Dog. Vier Geschichten erzählt Todd Solondz in dem Film, sehr lose verknüpft durch den kleinen dunkelbraunen Dackel. Der Regisseur hat sich vor dem Dreh noch einmal Robert Bressons berühmten Film "Zum Beispiel Balthasar" angeschaut, der die Geschichte eines Esels erzählt - Taufe, Lastträgerei, Zirkus, Schmuggelei, Tod - und der Menschen, denen er begegnet, die ihn lieben oder ihn malträtieren, selbst geliebt oder malträtiert werden. Es ist einer der großen existenziellen Filme der Kinogeschichte, weil er sich der Frage nach dem Sinn enthält, dem Sinn des Lebens, dem Sinn der Geschichte - nur das Göttliche ist glücklich über seine Nutzlosigkeit.

Todd Solondz liebt die kreatürlichen Schwächen, er liebt die Schwachen, Kranken, Geschundenen. "Wiener-Dog" ist ein Film über die Sterblichkeit, sagt er, das heißt, ein Film über die Kraft zu überleben. Zwei der Geschichten handeln von Kindheit und Jugend, zwei vom Alter und vom Versagen. Eine der ersten Einstellungen zeigt einen Jungen im Gras liegend, den Blick nach oben, einen Arm über dem Kopf abgewinkelt. Man kennt dieses Bild seit ein paar Jahren, aus Richard Linklaters "Boyhood", der einzigartigen Beschwörung amerikanischer Jugend. Bei Todd Solondz ist die Kindheit immer nah am Tode. Remi, dem Jungen im Gras, sind eben die Haare wieder gewachsen. Er hat überlebt, hat seinen Krebs besiegt. A fucking survivor, sagt seine Mutter, gespielt von Julie Delpy, mit einem harten, aber auch hilflosen Ton. Das Haus ist auf Zucht und Ordnung und Reinheit ausgerichtet. Der zarte, fast engelhafte Remi (Keaton Nigel Cooke) ist glücklich, als der Vater Wiener-Dog bringt - einen Sommer hast du jetzt Zeit, sagt der Vater, den Hund stubenrein zu machen. Housebreaking heißt das auf Englisch. Aber Wiener-Dog heult nachts, muss in einen Käfig im Abstellraum, wird sterilisiert, und dann das Malheur mit dem Müsli-Riegel.

Wiener-Dogs heißen in den USA die Dackel, dieser Episodenfilm hat ein besonderes Prachtexemplar als Hauptfigur. (Foto: Verleih)

Ihre hündische Schwäche hätte Wiener-Dog beinahe das Leben gekostet, sie wird in letzter Sekunde von der Assistentin des Tierarztes gerettet, Dawn Wiener, die sie packt und mit ihr davonschleicht, hinein in die zweite Episode. In einem Supermarkt trifft sie den alten Schulkameraden Brandon, der auf der Durchreise ist, sie starren sich verwirrt gegenseitig an, schlucken, stoßen ein paar verkrampfte Sätze heraus und ein paar "Ach, war das so . . ." Man starrt gebannt in die Gesichter von Greta Gerwig und Kieran Culkin, und legt vielleicht ein paar Erinnerungen hinein, denn Dawn und Brandon kommen aus einem anderen Solondz-Film, "Welcome to the Dollhouse/Willkommen im Tollhaus", zwanzig Jahre früher, damals gespielt von Heather Matarazzo und Brendan Sexton III. (rätselhafterweise hat Dawn, das unansehnliche, gemobbte, mit Vergewaltigung bedrohte Mädchen, im Solondz-Film "Palindromes" angeblich Selbstmord begangen . . .). Wegen Wiener-Dog gehen die beiden dann doch nicht gleich wieder auseinander, machen sich auf eine Fahrt ins sonnige Ohio.

Mittendrin: die Geschichte von Mohammed, dem Wilden, der Eichhörnchen vergewaltigte

Von gestörten Beziehungen, verpassten Chancen wird Wiener-Dog dann auch in der zweiten Hälfte des Films Zeugin. Man erlebt Danny DeVito als Filmhochschulprofessor Dave Schmerz, der es mit unsäglich hohlen Studenten zu tun bekommt und sein großes Lebensscript nicht hinkriegt, einen Film über Jugend, Schmerz, Erinnerungen, Träume, "aber ich wollte, dass es komisch ist, die Leute sollten es mögen, ich wollte es verkaufen, also packte ich vertauschte Identitäten hinein, Sex-Gags, die Mafia . . ." Von diesem Moment an kreiselt der Film in sich. Danach erleben wir noch Ellen Burstyn als Nana, allein im Alter, nur hin und wieder heimgesucht von ihrer Enkelin Zoe (Zosia Mamet, Davids Tochter), mit ihrem ruppigen Lover, dem Künstler Fantasy, der gern taxidermisch arbeitet, aber nicht mit anderen großen Kadaverkünstlern in Verbindung gebracht werden will: "Fuck Damien Hirst!"

Als Wiener-Dog sterilisiert wird, erzählt die Mutter erklärend Remi von Mohammed, dem Verfilzten, dem Knurrenden, dem Streuner, dem Wilden, der die kleine Croissant vergewaltigte und schwängerte, den Hund der Mutter, als sie noch in Frankreich lebte, sie wurde depressiv und ging elend zugrunde. Mohammed aber vergewaltigte weiter, die Eichhörnchen im Wald, bis man ihn niederschoss, ihm die Haut abzog und eine Handtasche daraus machte. Und die Eichhörnchen, fragt Remi, hat man die auch sterilisiert?

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Mit seinem zart beharrlichen Fragen und Immer-weiter-Fragen führt Remi das Erzählen ad absurdum. Ein Erzählen, das völlig heruntergekommen ist, nur noch stubenreine Parabeln produziert. Todd Solondz aber gibt dem Erzählen seine Unschuld, seine Nutzlosigkeit zurück. Natürlich steht er auch mit diesem Film auf der Seite der Kinder, zu denen auch DeVito und Burstyn gehören. Und die kleine Mariachi-Band, die Dawn und Brandon auf ihrer Fahrt mitnehmen und die die amerikanische Misere in die Formel fassen: "Wie ein großer, fetter Elefant, der in einem Meer der Verzweiflung versinkt."

Wiener-Dog, USA 2016 - Regie, Buch: Todd Solondz. Kamera. Ed Lachman. Schnitt: Kevin Messman. Musik: James Lavino. Mit: Keaton Nigel Cooke, Julie Delpy, Tracy Letts, Greta Gerwig, Kieran Culkin, Danny DeVito, Ellen Burstyn, Zosia Mamet, Michael Shaw. Prokino, 88 Minuten.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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