Tod in Vegas:Mafia-Mischpoke

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Was macht ein Mafia-Killer, der in einem Hotel in Chicago ein paar FBI-Typen abgeknallt hat? Er wird nach Las Vegas gebracht und dort zum Rabbi umgeschult. Tod Goldberg hat aus "Gangsterland" die komisch finstere Studie eines unglücklichen Killers gemacht.

Von Sofia Glasl

Als Rabbi muss David Cohen gezwungenermaßen gut zuhören können. Täglich stehen Gemeindemitglieder vor seinem Büro Schlange und bitten um Rat. Banale Alltagsprobleme sind das, aber Rabbi Cohens vermeintlich lebenskluge Worte trösten die Leute. Dass er dabei nicht nur aus Thora und Talmud zitiert, sondern ihnen auch Songzeilen von Bruce Springsteen und Neil Young unterjubelt, scheint niemand zu merken. Das ist gut so, denn würde auch nur eine einzige Person stutzig, könnte sein ganzer Bluff auffliegen.

Tod Goldberg balanciert seinen Thriller "Gangsterland" auf einer zugegeben hanebüchenen, aber gerade deshalb komischen und unterhaltsamen Prämisse - denn der Rabbi ist gar kein Rabbi und heißt eigentlich Sal Cupertine. Fünfzehn Jahre lang war er der verdienteste, weil diskreteste Auftragskiller der Mafia von Chicago. Bis ein Mord gehörig danebenging - er schoss drei "Donnie-Brasco-Undercover-Pisser" vom FBI in einem Hotel nieder und ist auf den Überwachungsvideos dort zu sehen. Wäre er nicht so wertvoll für die Familie, hätte die ihn kaltgemacht. Stattdessen wurde er in einem Kühllaster nach Las Vegas zu einer lose verbandelten Familie verfrachtet, die mit der dortigen jüdischen Gemeinschaft vernetzt ist. Aus Mafiafamilie wird also Mischpoke und aus Sal ein Undercover-Mobster. Und diverse Gesichts-OPs, stapelweise Judaica und zig Stunden Hebräisch für Anfänger später ist er Hilfsrabbi am Tempel Beth Israel. Sein neues Amt und das an den Tempel angegliederte Bestattungsunternehmen sind natürlich Tarnung, hier werden Leichen und Geld gewaschen und ab und an auch mal Mafia-Opfer entsorgt - ganz nach jüdischem Brauchtum, das versteht sich von selbst. David fragt sich, ob die Kosher Nostra wiederauferstanden ist. Und er hadert mit seinem alten wie mit seinem neuen Leben.

Stephen King: Mind Control. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag, München 2016. 528 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro. (Foto: verlag)

Goldbergs Leichtigkeit und Witz fangen die oft derben und blutigen Mordszenen auf, sie machen den Panzer aus Sarkasmus spürbar, den sich die Gangster mit der Zeit zugelegt haben. Unterhalb der bösen, dynamischen Handlung wird immer auch das Dilemma der Mafia-Alltäglichkeit verhandelt - ohne ins Psychologisieren oder Moralisieren zu geraten. So lässt Tod Goldberg Sal alias David langsam aus seiner jahrelangen Killertrance erwachen und entmystifiziert dadurch das glamouröse Bild vom Auftragsmörder.

Sal ist es demnach, der treu die Drecksarbeit macht, schweigt und anschließend wie Vieh an die Familie in Las Vegas verkauft wird. Wann soll er das Richtige, wann das Notwendige tun? Kann er Gerechtigkeit einfordern und gleichzeitig überleben? Und: Sind die unwillkürlichen Glaubensanwandlungen bei seiner Vergangenheit nicht scheinheilig? Denn ja, das Thora-Studium geht nicht spurlos an ihm vorbei, auch wenn von Läuterung kaum die Rede sein kann. Goldberg nimmt seine Figuren als Menschen wahr, nicht nur als Zahnrädchen im Krimigetriebe. "Gangsterland" ist daher weit mehr und auch etwas weniger als ein klassischer Thriller.

Eigentlich fehlen der Handlung der Zug und die Brisanz, die man vom Gangster-Genre erwarten würde. Der Rabbi weiß zu keinem Zeitpunkt des Geschehens, dass ihm ein ehemaliger FBI-Agent auf den Fersen ist. Der wurde wegen des Hotel-Blutbads entlassen und glaubt nicht an Sals vorgetäuschten Tod - zum Schluss erst werden beide aufeinandertreffen. Diesen Spannungsbogen aber entwickelt Goldberg nur beiläufig, sehr viel mehr als das interessiert ihn die Tatsache, dass Menschen sich grundsätzlich gern belügen lassen, um ihr Weltbild bestätigt zu sehen. Das FBI will gern glauben, dass Sal tot ist; seine Frau will gern glauben, dass er in einem redlichen Job arbeitete; und Davids Gemeinde glaubt gern, dass der Rabbi und seine hingebogenen Thora-Auslegungen mit Pop-Anleihen echt sind. Jetzt muss nur noch David lernen, an sein neues Ich zu glauben.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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