Theaterkonflikt in Rostock:Das Fanal an der Warnow-Mündung

Lesezeit: 4 min

Sewan Latchinian wurde als Intendant am Volkstheater Rostock gekündigt, jetzt ist er wieder da - der Streit mit der Kommune geht weiter.

Von Thomas Hahn

Sewan Latchinian sitzt nun wieder dort, wo er seines Erachtens hingehört: im Intendantenbüro des Volkstheaters Rostock, mittendrin im Kampf um die Zukunft des traditionsreichen Hauses in der größten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns. Seine Gegner in der Bürgerschaft, zu denen der Oberbürgermeister Roland Methling gehört, haben die fristlose Kündigung nicht durchgebracht, die zwischendurch schon vollzogen war, nachdem Latchinian eine Rede gegen die Verwalter des öffentlichen Geldes gehalten hatte. Die Zeit des Arbeitsverbots ist vorbei.

Latchinian hat mit Belegschaft und Betriebsrat gesprochen, er hat betont, dass er weiter über die Zielvereinbarung von Stadt und Land diskutieren werde, nach der das Volkstheater 2016 Tanz- und Musiktheater abgeben soll und nur noch Philharmonie und Schauspiel behalten darf. "Jetzt geht es nur um die Zukunft der vier Sparten", sagt Latchinian, und es stört ihn nicht, dass er seine Widersacher damit aufs Neue reizt. Im Gegenteil. "Macht Spaß." Latchinian will zeigen, dass er die Kraft des Theaters mit den knappen Kassen versöhnen kann. "Eigentlich unlösbar", sagt er, "und das ist spannend."

Der Theaterstreit von Rostock tobt seit Monaten mit Protestdemonstrationen, Wut im Ensemble und politischen Debatten. Der erbitterte Konflikt zwischen dem Intendanten Latchinian und den Zukunftsplanern aus Stadt- und Landespolitik steht für die Auflehnung gegen die nächste Stufe eines Schrumpfungsprozesses im Kulturbetrieb, der ganz Deutschland betrifft. Eine Wende bei der staatlichen Geldverteilung steht bevor, denn ab 2020 gilt die Schuldenbremse. Dazu kommt die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, auch der Solidarpakt II läuft 2019 aus. Die Kultur ist von der Pflicht zur Sparsamkeit stark betroffen. In Mecklenburg-Vorpommern laufen die Vorbereitungen für einen schlankeren Theaterbetrieb, damit bei steigenden Kosten - etwa durch Tarifanpassungen - der Anstieg der Zuschüsse gebremst werden kann.

"Rostock ist das Fanal", sagt Latchinian, der seit September 2014 im Amt ist: "Geht das, dass ein Kulturminister im Alleingang die Theaterlandschaft eines Bundeslandes umstrukturiert, Zuschüsse an Bedingungen knüpft und Theaterleiter entlassen werden, die sich dagegenstellen?" Die kulturelle Vielfalt und die gesamtdeutsche Theaterlandschaft würden momentan "an der Ostsee, an der Warnow-Mündung, verteidigt".

Mathias Brodkorb, der Kulturminister des bevölkerungsarmen Landes Mecklenburg-Vorpommern, sagt: "In allen gesellschaftlichen Bereichen haben wir Strukturdiskussionen, anders geht es nicht. Die Alternative wäre, Schulden zu machen." Seine Empfehlung für die Theater im Land - auch für das Rostocker - lautet deshalb: Bühnen zusammenlegen, Kooperationen schließen. Stefan Rosinski, der kaufmännische Geschäftsführer am Volkstheater Rostock, beschreibt die Situation so: "Es geht gar nicht mehr darum, wie produktiv Kunst sein kann. Es geht darum, welcher Faktor sie im Haushalt ist."

Die Frage ist, wie man sich gegen diesen Trend auflehnt, nachdem ein Theater wie das in Rostock nach verschiedenen Sparrunden längst so ausgenommen ist, dass die nächste sein Wesen verändern würde. Sewan Latchinian schlägt Krach, stellt eine politische Elite auf die Probe, die Gehorsam gewohnt ist. Latchinian sagt, als er 2013, nach erfolgreichen Jahren am Theater in Senftenberg, den Zuschlag für den Rostocker Intendanten-Posten bekam, sei er davon ausgegangen, er solle das komplette Volkstheater mit seinen vier Sparten auf Vordermann bringen. Der Oberbürgermeister Roland Methling sagt, davon sei nie die Rede gewesen. Aber nun will Latchinian nicht den Erfüllungsgehilfen bei jener Strukturreform geben, die Methling und Brodkorb für die wirtschaftlichste Lösung halten. Also schimpft Latchinian bei fast jeder Gelegenheit auf seine Geldgeber. Die Vorlage zu seiner vorübergehenden Entlassung lieferte er, als er bei einer Kundgebung in Neustrelitz die Kultur-Politik Mecklenburg-Vorpommerns mit dem Vandalismus verglich, den die radikalislamische Terrormiliz IS gegen Weltkulturerbe-Stätten im Irak richtet.

Geht es nicht diplomatischer? Latchinian sagt: "Ich muss mit sehr drastischen Mitteln arbeiten, um zu beschreiben, was der Stadt und dem Volkstheater droht." Der Oberbürgermeister wiederum findet das unschicklich für einen Zugereisten.

Roland Methling ist ein leiser Mensch mit starkem Willen. Er ist in der DDR groß geworden, war dort Ingenieur, bis 1990 zwölf Jahre im Rostocker Überseehafen beschäftigt und bis zur Wende SED-Mitglied. Nach 1990 profilierte er sich in der Stadtverwaltung als Organisator von Großveranstaltungen, wurde 2005 Oberbürgermeister und hat seither die Stadtfinanzen saniert. Er regiert straff, er geht davon aus, dass er sehr gut weiß, was das Beste für Rostock ist. Deswegen hat er auch einen Plan für das Volkstheater, das im zweiten Weltkrieg seine Spielstätte verlor und seither in einem früheren Gewerkschaftsbau untergebracht ist. Methling will den uralten Wunsch eines neuen Bühnenhauses endlich verwirklichen.

Bis zu 50 Millionen Euro sollen die Baukosten betragen, Methling braucht dafür Zuschüsse und eine Kreditgenehmigung vom Land. Beides gibt es nur, wenn Rostocks Volkstheater sich ins landesweite Theaterkonzept des Kulturministeriums einbinden lässt, um seine Bilanzen zu verbessern, die laut Methling bei einem jährlichen städtischen Zuschuss von 17 Millionen Euro eine eigene Kostendeckung von sieben Prozent aufweist. Eine Münchner Unternehmensberatung durchleuchtete das Volkstheater. Deren Analyse bestärkte Methling in dem Vorhaben, es auf Schauspiel und Orchester zu konzentrieren. Brodkorb gefällt das, die Rostocker Bürgerschaft hat dazu eine Zielvereinbarung verabschiedet. "Wir haben uns in Rostock dieses 2+2-Konzept als Vorgabe gegeben", sagt Methling, "dass wir zwei Sparten vorhalten und zwei weitere Bereiche durch Kooperation anbieten, damit die städtischen Zuschüsse konstant bleiben können."

Wenn dieses Konzept umgesetzt wird, beteiligt sich das Land mit bis zu 25 Millionen Euro an den Baukosten - aber nur dann. In der Zielvereinbarung steht: "Im Falle eines nicht einvernehmlichen Abweichens durch die Stadt bzw. sein Theater behält sich das Land vor, (. . .) seine laufenden Zuschüsse für das Volkstheater Rostock (. . .) zu reduzieren und seine Zusage zur Mitfinanzierung des Neubaus zurückzuziehen."

Es geht mehr als nur ums Geld in diesem Rostocker Bühnenstreit, es geht um die Frage, ob das Theater eine Erneuerungschance aus sich selbst heraus bekommt oder nur noch auf Befehl der Bürokratie agieren darf. Deshalb wehrt sich Latchinian so verbissen gegen die Zielvereinbarung. Er sieht es kommen, dass in Rostock irgendwann ein tolles Bühnenhaus steht, welches das klein gesparte städtische Ensemble dann aber nicht mehr aus eigener Kraft bespielen kann. Er will nicht, dass das Volkstheater als künstlerische Einheit entkernt wird.

Oberbürgermeister Methling dagegen sagt: "Auch die Straßenbahn AG und die Hafenentwicklungsgesellschaft bekommen Vorgaben und müssen in diesem Rahmen tätig werden. Herr Latchinian ist da in der Bringerpflicht."

Der Kampf um den Intendanten-Posten ist erst einmal vorbei. Methling hat Latchinian nicht fortjagen können. Allerdings sind wertvolle Monate verloren gegangen. "Wir schauen nach vorne", sagt Latchinian. Er geht davon aus, dass er mit erfolgreicher Arbeit im gegebenen finanziellen Rahmen die Forderung nach Strukturveränderung wegräumen kann. Es ist ein Abenteuer mit unsicherem Ende.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: