Theater:Verspielt bis radikal

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Ein beklemmendes Stück nach einer Vorlage von Dawn King: Nils Strunk in Mirjam Loibls Inszenierung "Foxfinder". (Foto: Matthias Horn)

Vier junge Regisseure zeigen ihre Arbeiten beim "Marstallplan"

Von Christiane Lutz, München

Natürlich geht es auch um Wettbewerb. Obwohl beim kleinen Nachwuchs-Regie-Festival "Marstallplan" am Residenztheater kein Gewinner gekürt wird, reden die Zuschauer doch nach den Vorstellungen: Was hat dir am besten gefallen? Um die Antwort gleich rauszuhauen: Mirjam Loibls "Foxfinder" ist die stärkste Inszenierung. Aber fest steht: Jede der vier Produktionen ist durchdacht und von erstaunlicher Präzision. Traditionelles Sprechtheater im besten Sinn.

Also zunächst zu "Foxfinder": Auf einem Bauernhof ist die Ernte schlecht. Judith (Valerie Pachner) und ihr Mann Samuel (Thomas Grässle) bekommen Besuch von einem hypernervösen Foxfinder (Nils Strunk), der sie überwachen, nein, herausfinden soll, ob der Hof vom Fuchs befallen ist. Ein kafkaeskes Spiel beginnt: Niemand hat je einen Fuchs gesehen, aber bald sind alle davon überzeugt, dass nur er verantwortlich sein kann für alles Schlechte. Ein großer Holzkegel kreist knarzend um seine Spitze (Bühne: Thilo Ullrich). Eine Bedrohung, die jeden erfassen und mitreißen kann, aber eine Bedrohung, die um sich selbst kreist. "Der Eindringling" heißt das Thema des Marstallplans. Doch bei "Foxfinder" ist der Eindringling nur Stellvertreter für das, wovor sich die Menschen fürchten: vor der eigenen Schuld. Mirjam Loibl hat den großartigen Text von Dawn King klug gekürzt und ein beklemmendes, thriller-artiges Theater geschaffen.

Etwas alleingelassen wirken hingegen die drei Schauspieler in "Zuhause im Zoo" (Edward Albee) in der Inszenierung von Alexander Krieger. Zwar könnte man Genija Rykova, Thomas Lettow und Michele Cuciuffo auch Ikea-Montageanleitungen vortanzen lassen, und es käme immer noch Ansprechendes raus, aber wenn man sie mit guten Ideen versorgt, ist das natürlich noch viel ansprechender. Und beim Marstallplan geht es ja darum, als Regisseur etwas auszuprobieren. Sich mal aus dem Fenster zu lehnen. Regisseur Krieger jedoch wählt den sicheren, aber etwas braven Weg einer psychologischen, naturalistischen Erzählung. Auf einer Bühne, die wahlweise als Loft oder als Terrarium gedeutet werden kann, erzählt er, wie der Sachbuchverleger Peter (Thomas Lettow) vom anständigen Ehemann, der es seiner Frau nicht mehr richtig besorgen kann, zum Mörder wird. Übersetzt: wie eine überspannte Gesellschaft nicht in der Lage ist, mit dem Fremden umzugehen.

Geradezu radikal ist Hannes Köpke, der sich das namensgebende Stück "Der Eindringling" (von Maurice Maeterlinck) ausgesucht hat und damit die experimentellste Produktion abliefert. Köpke verzichtet auf beinahe jedes sichtbare Bühnenspiel - bis auf Valery Tscheplanowa, die als Magd zum Ticken einer Uhr so rhythmisch und vorwurfsvoll den Boden wischt, wie wohl nur sie einen Boden wischen kann. Ein blinder Großvater (Götz Argus) erwartet derweil mit seiner Familie die Ankunft seiner Tochter, unsichtbar unter der Zuschauertribüne hervor sprechend. Ein anspruchsvolles, etwas rätselhaftes Hörspiel.

Der verspielteste Beitrag ist Tom Feichtingers "Alles muss glänzen", ein Text von Noah Haidle. Genussvoll bedient sich der junge Regisseur der ganzen Theater-Zaubermaschine, lässt Sprühregen rieseln, verspritzt Theaterblut und setzt seine ganze Inszenierung in ein Wasserbecken. Schließlich ist eine Ende-der-Welt-Sintflut im Stück ausgebrochen. Barbara Melzl spielt eine wunderbar anrührende Frau, die ob der bevorstehenden Katastrophe tapfer die Reste ihres einst glücklichen Lebens zusammenzuflicken versucht. Der Eindringling ist bei ihr ein sehnsuchtsvoll erwarteter Gast, der den leeren Stuhl an ihrem gedeckten Tisch einnehmen soll.

Um den Fortbestand des Theaters muss man sich in München also erst mal keine Sorgen machen. Die jungen Regisseure, die beim Marstallplan in diesem Jahr am Werk sind, sind äußerst bereichernde Eindringlinge.

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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