Theater:Unschärferelation

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Der Düsseldorfer OB überlegt, aus dem Schauspielhaus ein Kongresszentrum zu machen. Derweilen spielen sie dort eine pointierte Liebesgeschichte.

Von Martin Krumbholz

In Düsseldorf kommt das Theater aus den Turbulenzen nicht heraus. Als genügte es nicht, dass sich die Sanierungsarbeiten am und um das Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz zur Dauerbaustelle auswachsen, stellte Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) das Haus nun grundsätzlich infrage: Man müsse debattieren, ob das Gebäude als Standort für das Schauspiel "alternativlos" sei. Angesichts der akuten Kostenexplosion sei - mit Hilfe eines privaten Investors - die Umwandlung in ein Kongresszentrum denkbar. Dahinter steckt vermutlich der Zorn des OB über Hinterlassenschaften der CDU-Vorgängerregierung, die über die Notwendigkeit einer Dach- und Fassadenrenovierung (Kostenpunkt: mindestens 20, eher 30 Millionen Euro) bereits im Bilde war. Die Kosten kämen zu denen hinzu, die bereits für die technische Sanierung des Hauses veranschlagt sind (rund 20 Millionen). Das Kind nun mit dem Bade auszuschütten, wäre natürlich grober Unfug. Das gilt auch für die (mehr oder weniger) rhetorische Frage des OB, ob die Stadt den etablierten Standort für das Theater wirklich brauche; das Ausweichquartier "Central" ist keineswegs ein adäquater Ersatz.

Dem frisch angetretenen Intendanten Wilfried Schulz, der in Düsseldorf ein ums andere Mal neue Facetten rheinischen Galgenhumors kennenlernt, bleibt nur eine Option: durch Qualität zu punkten. Die deutsche Premiere von Simon Stephens' "Heisenberg" ist dabei ein erster Meilenstein. Das Stück des britischen Autors handelt nicht von dem berühmten deutschen Physiker, der wird nur am Rande zitiert. Man muss auch nicht dessen "Unschärferelation" kennen, um das Stück zu verstehen. Es ist einfach eine Liebesgeschichte.

Der 75-jährige Alex und die 33 Jahre jüngere Georgie, er selbständiger Metzger, sie Grundschul-Sekretärin, treffen sich in London, verlieben sich, werden ein Paar. Oder auch umgekehrt. Wenn Caroline Peters als Georgie mit einer Tafel Schokolade in Alex' Wohnung steht und überlegt - ja, was eigentlich, ob sie von Anfang an den Plan hatte, Alex um 15 000 Pfund für eine Amerikareise zu bitten (was dieser vermutet), da ihr verschollener Sohn dort lebt, dann ahnt man, was es mit der "Unschärfe" auf sich haben könnte. Menschen sind nicht fassbar, weil die Reihenfolge und die Kraft ihrer Impulse schwankt und unstet ist. Alex ist enttäuscht. Und auch wiederum nicht.

Warum nicht? Weil Stephens mit Georgie eine Charmebombe erschaffen hat; das komödiantische Talent von Caroline Peters, der amtierenden "Schauspielerin des Jahres", ist die Lunte dazu. Georgies Masche besteht darin, Alex' Reaktionen vorwegzunehmen und sublim zu filtern. "Finden Sie mich anstrengend, aber bezaubernd?", fragt sie ihn - da kann man, auch als Zuschauer, nur die Waffen strecken. Peters spielt das mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit. Am Anfang fürchtet man, sie könnte ihren Partner an die Wand spielen; allzu defensiv, fast verbockt legt Burghart Klaußner seine Rolle an. Aber in der Regie von Lore Stefanek stimmt die Balance des Abends dann doch.

Georgie befreit das Kind, das in Alex steckt - eine Heldentat. Simon Stephens schreibt fantastisch gute Dialoge. Da auf deutschen Bühnen eher Jelinek'scher Humor regiert, ist jemand wie er hierzulande mehr Randfigur als Star. Sichtlich angetan war der Autor nun von der Premiere im "Central", von den beiden fabelhaften Schauspielern und vom Publikum: Es spendete Ovationen.

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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