Theater:Puppen auf dem Scheiterhaufen

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Die Arbeiten von Gisèle Vienne stehen exemplarisch fürs 19. Figurentheater-Festival, das gerade die Grenzen seines Genres sprengt

Von Florian Welle, Erlangen

Erlangen, Nürnberg und Fürth teilen sich derzeit das 19. Internationale Figurentheater-Festival. 1979 ins Leben gerufen, ist die Biennale mittlerweile eine Veranstaltung der schieren Überwältigung. Bis zum 17. Mai zeigen 67 Compagnien aus 19 Ländern 70 Inszenierungen. Darunter ist zwar noch das Spiel mit klassischen Puppen, doch längst hat sich das Genre entgrenzt, finden neue Medien Verwendung, wird die Nähe zu Tanz und Performance gesucht. Exemplarisch hierfür steht Gisèle Vienne. Die 38-jährige Französin mit österreichischen Wurzeln ist Puppenspielerin, Choreographin und Regisseurin in einem.

Ins Erlanger Markgrafentheater brachte sie am Montag ihr 2013 uraufgeführtes Stück "The Pyre (Der Scheiterhaufen)" mit - einer der wichtigsten Programmpunkte des Festivals. Gleichwohl ist es einer der unbequemsten, denn die international viel diskutierte Grenzgängerin arbeitet sich an den Schattenseiten menschlichen Lebens ab. Es geht um Gewalt und Sexualität, Einsamkeit und Tod. Schonung für den Zuschauer - keine. Im Gegenteil. Viennes Stücke fordern nicht nur psychisch, sondern mittlerweile auch physisch heraus. Das Publikum wird in den jüngeren Arbeiten mit einer visuellen und akustischen Aggressivität konfrontiert, die es auszuhalten gilt.

Zu Beginn bekommt man Ohrstöpsel. Man braucht sie, denn Vienne hat The Pyre mit einem Sound unterlegt, der von Peter Rehberg und Stephen O'Malley stammt, zwei Experten des Drone Dooms, einem Musikstil basierend auf Klängen im untersten Frequenzbereich. Dazu blickt man in einen Lichttunnel. Zig Led-Röhren illuminieren nicht nur die Tänzerin Anja Röttgerkamp, sondern erzeugen im Laufe der Performance auch ein quietschbuntes Farbgewitter. Musik wie Licht sollen, so Vienne, unsere hysterische Welt widerspiegeln.

Das Stück handelt von der Beziehung einer jungen Mutter zu ihrem Sohn. So weit, so gut, so undramatisch. Die dreiteilige Geschichte wird allerdings rückwärts erzählt. Part 3 und 2 finden auf der Bühne statt, Part 1 ist ein 35-seitiger, alles andere als leicht verdaulicher Text, den man mit nach Hause bekommt. Gisèle Vienne fordert ihr Publikum noch über das Ende der Aufführung hinaus. Erst wenn man das Büchlein von Dennis Cooper gelesen hat - der amerikanische Autor steht in der Tradition von Jean Genet und arbeitet seit Jahren mit Vienne zusammen - wird das Bühnengeschehen einigermaßen verständlich: Die junge Mutter leidet an einer bipolaren Störung und bringt sich schließlich um. Anja Röttgerkamp ist diese Mutter. Eine junge Frau mit blonden Haaren, die so gerne Tänzerin wäre. Röttgerkamp zeigt sie zwischen hilfloser Apathie und aggressiver Hypernervosität. Dabei erinnern ihre Bewegungen lange Zeit an eine ferngesteuerte Automatin, erst nach und nach wird sie für uns ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Röttgerkamp tanzt seit zwölf Jahren für Vienne. Ihre Leistung überzeugt mehr als das Stück selbst. Denn erstaunlicherweise besitzt dieses trotz oder gerade wegen der akustisch-visuellen Reizüberflutung Längen, bewegt sich so mancher Bühnenmoment am Rande des Kitsches. Das war früher anders. 2009 nahm Gisèle Vienne mit "Jerk" am Festival teil. Der Trumpf dieser knallharten Arbeit war: deren Minimalismus.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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