Theater:Lieber stabil als glücklich

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Lenina (Julia Richter) erkundet Lindas (Nina Steils) alternde Haut. (Foto: Arno Declair)

Der österreichische Regisseur Felix Hafner inszeniert Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" am Volkstheater

Von Christiane Lutz, München

Die "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley aus dem Jahr 1932 ist vermutlich auch deshalb Weltliteratur, weil der Roman so philosophische Fragen verhandelt wie: Wie wollen wir leben? Welche Opfer sind wir bereit, für Frieden und Gesundheit zu bringen? Ist frei, wer sich frei fühlt? Auch, wenn andere das anders sehen? Harter Stoff in jedem Fall. Der österreichische Regisseur Felix Hafner, 25, kämpft dann auch sichtbar mit der Inszenierung des Romans am Volkstheater. Aussehen tut das gut: Er steckt die acht Figuren in Kostüme irgendwo zwischen Fetisch und Abba und stellt sie auf eine latexüberzogene Bühne vor eine Scheinwerferwand. Sie bewegen sich in Choreografien (Vasna Aguilar) und grooven durch den Alltag. Familien und Liebesbeziehungen gibt es nicht mehr. Wer jemanden begehrt, "nimmt" ihn sich. Statt ins Kino geht man ins "Feelie", eine Filmvorführung mit Fühleffekten, bei der sich die Figuren jene tiefen Gefühle leihen, die zu spüren sie selbst nicht mehr in der Lage sind. Und wenn einer aus Versehen mal verstimmt ist, wirft er ein bisschen Soma ein. Soma, die Happy-Droge für alle.

Auf einer Exkursion gabeln der Wissenschaftler Bernhard Marx (Timocin Ziegler) und Lenina (Julia Richter) den "Wilden" John (Silas Breiding) und seine Mutter Linda auf. Sie leben in einem Reservat für Ausgestoßene. Reservat bedeutet altern, Kinder kriegen, heiraten. Kurz: Sie tun alles, was die neuen Weltler eklig finden. Im Reservat aber stauben auch längst vergessene Reste der menschlichen Kulturgeschichte vor sich hin. John schleppt einen roten Samtvorhang mit sich herum, zitiert Shakespeares Hamlet und glaubt an die Liebe.

In diesem Gegensatz liegt natürlich großes dramatisches Potenzial. Aber da liegt auch die Schwäche der Inszenierung. Hafner gelingt es nicht ganz, die beiden Ideologien wirklich glaubhaft zu vermitteln. Zu radikal die Pole, zu wenig Zwischentöne. Auch wenn ein paar neue Weltler durchaus am System zweifeln (sehr schön angedeutet von Timocin Ziegler), verfolgt die Inszenierung die Zweifel nicht. Zu poltrig aber auch John, der eher wie ein durchgeknallter Dichter angelegt ist denn einer, dessen Leidenschaft anstecken könnte. Da hätte Felix Hafner feiner tunen, mehr Brüchigkeit zulassen können.

So bleibt es nur lustig, wenn beim Wort "Mutter" angeekelt die Nase gerümpft wird. Eine überzeugende Erklärung, warum es befreiend sein kann, nicht im Wahnsinn einer Mutter-Kind-Beziehung zu stecken, bleibt aus. Der ideologische Schlagabtausch am Ende zwischen John und Guru Mustapha Mond (Jakob Immervoll) ist dann auch nur ein Ping-Pong-Spiel der Positionen, die in etwa wie folgt lauten. Mond: Stabilität ist besser als Leidenschaft. John: Leidenschaft ist besser als Stabilität, ihr seid alle unfrei!

Stark ist die Inszenierung immer dann, wenn sie die Möglichkeit zulässt, dass das vermeintlich Schlechte vielleicht eine Berechtigung hat. Zum Beispiel, als die verwahrloste Alkoholikerin Linda (sehr berührend gespielt von Nina Steils) nach einem traurigen Leben mit Hilfe von Soma in den Tod hinübergleitet. Im Sterben entledigt sie sich ihres schweren Fatsuits und geht erleichtert davon. Da plötzlich ist der Gedanke möglich: Vielleicht ist wirklich frei, wer sich frei fühlt.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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