Theater:Jeder Schritt ein Kommentar zum Text

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Der Bote der Tragödie (Matthias Zajgier) steht vor Kriegshelden-Bildern und ist umringt von Frauen. (Foto: Jochen Klenk)

Hansgünther Heyme inszeniert "Die Perser" in Ingolstadt - und zeigt Zeichen von Altersmilde

Von Florian Welle, Ingolstadt

Hansgünther Heyme, schrieb C. Bernd Sucher vor Jahren in der SZ, mache gesellschaftskritisches Theater. Dazu würde er klassische Texte manipulieren, um die Gegenwart zu kommentieren. Heyme, Jahrgang 1935, war in den Fünfzigerjahren Regieassistent bei Erwin Piscator, ehe er sich mit seinen Modernisierungen aufschwang, einer der führenden Repräsentanten des deutschen Regietheaters zu werden: brüllen, zertrümmern und weg.

Zum ersten Mal inszeniert der 80-Jährige am Stadttheater Ingolstadt. Und Heymes Blick auf Aischylos' "Die Perser" trägt Züge von Altersmilde. Die Tragödie ist das älteste überlieferte Theaterstück der Welt: Aischylos schrieb es acht Jahre, nachdem er 480 vor Christus bei der Seeschlacht von Salamis aufseiten der siegreichen Griechen gefochten hatte. Und Heyme: streicht und verändert nichts. Er verzichtet auch fast auf jede aktualisierende Anspielung. Dass die Perser Tarnanzüge tragen, ist schon das Äußerste. Was es nicht gibt, weil sowieso jeder Zuschauer die heutigen Kriegsherde mitdenkt: Maschinengewehre etwa oder Flüchtlinge auf der Bühne, wie vor ein paar Jahren bei Johan Simons.

Die Inszenierung gibt sich zeitlos. Ist mehr Reflexion über den Krieg per se. Hansgünther Heyme kümmerte sich neben der Regie um die gesamte Ausstattung. Die Bühne besteht aus einer goldfarbenen Schräge, die an ihrem Ende in eine hochaufragende Wand übergeht. Da wird im Laufe des Abends der sechsköpfige Frauenchor die Bilder der gefallenen persischen Heeresführer anpinnen. Da wird sich gegen Ende Xerxes abseilen. Von der Decke hängen kakifarbene Mäntel herab. Symbol für die vielen Toten, die Xerxes' an Hybris grenzender Feldzug fordert.

Die Tragödie kennt so gut wie keine Handlung. Die dramatischen Ereignisse der Seeschlacht werden von einem Boten nachgereicht, der hier von Matthias Zajgier gespielt wird. Zajgier ist neben dem Frauenchor der Star der Inszenierung: Mit seinem stimmgewaltigen Bericht von der vernichtenden Niederlage der Perser weiß er nicht nur seine Zuhörerinnen, allen voran Atossa, die Mutter von Xerxes, zu fesseln. Sondern auch sukzessive zu schockieren. Doch besonders an Zajgiers Spiel ist was anderes: Denn fast wirkt es so, als würde ihn die Niederlage freuen. Zumindest spricht er von der Leistung der zahlenmäßig unterlegenen Griechen mit irritierend großer Hochachtung.

Gegen Matthias Zajgier fallen Ingrid Cannonier als Atossa, Béla Milan Uhrlau als Xerxes und Ulrich Kielhorn als kurzzeitig von den Toten auferweckter Dareios ab. Cannonier ist immer dann sehr stark, wenn sie nur mit einem Zucken im Gesicht oder einer kleinen Handbewegung die Gefühle ihrer Figur - Schmerz, Hass, Staunen - zum Ausdruck bringt. Uhrlau und Kielhorn gestalten ihre Parts solide. Der Frauenchor: Ihn hat Heyme zu einer stimmlich wie körperlich perfekt aufeinander abgestimmten Gruppe gebracht. Jeder Schritt ist hier ein Textkommentar. Der Rest ist packender Klagegesang, musikalisch unterlegt von bizarren Schlagzeug- und Elektronikgeräuschen des Livemusikers Paul-Jakob Dinkelacker. Nur die besondere Betonarchitektur des Stadttheaters verhindert eine größere Sogwirkung, die von dieser souveränen Inszenierung eines Altmeisters ausgeht. In der nächsten Spielzeit wird sich Heyme Schillers "Maria Stuart" annehmen.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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