Theater:Ihr wildes Herz

Lesezeit: 2 min

Abdullah Karacas beeindruckende "Geierwally" in Oberammergau

Von Christiane Lutz, Oberammergau

Die junge Frau auf dem Nebensitz zappelt. Gleich, informiert sie, käme ihr Freund auf die Bühne. "Das ist meiner!", jauchzt sie bei seinem Auftritt. Im Lauf des Abends erfährt man außerdem, welcher Schauspieler die anderen immer mit dem Auto herumfährt und mit wem sich besonders gut Party machen lässt. Es ist wieder Sommer in Oberammergau. Theaterzeit. Abdullah Karaca hat Wilhelmine von Hillerns "Geierwally" inszeniert, wie immer mit Laienschauspielern (Vorstellungen bis zum 4. August). Sehr viele der Besucher kennen also sehr viele der Schauspieler.

Es sind auch Menschen da, die 2002 schon Christian Stückls "Geierwally" gesehen haben. Die Inszenierung, mit der er und Brigitte Hobmeier am Volkstheater durchstarteten. Wer unbedingt Parallelen zwischen den Wallys von Karaca und seinem Förderer Stückl suchen mag: ähnliche Textfassung, Musiker auf der Bühne. Im Vorteil ist aber, in wessen Kopf sich kein Referenz-Karussell dreht. Denn Karacas Inszenierung verdient den unvoreingenommenen Blick. Und sie hält ihm stand. Seine "Geierwally" vereint das Beste aus allen Welten: Sie ist volksnah und trotzdem modern, ästhetisch anspruchsvoll und trotzdem nicht deplatziert. Lustig, ohne albern zu wirken. Dass er Wallys Verehrer Vincenz (Lucas Clauss) sächseln lässt, ist ein Zuckerl fürs Publikum.

Vincenz aber hat kein Glück bei der Geierwally, die so heißt, weil sie einen Geier gezähmt und zwei Sommer autark auf einer Alm gelebt hat. Nach dem Tod ihres brutalen Vaters kehrt sie als Hoferbin in die Dorfgemeinschaft zurück - und bleibt doch Einzelgängerin. Dass sie nicht mal durch ihre schließlich doch erwiderte Liebe zum Bärenjosef (Jonas Konsek) lang glücklich sein darf, ist bei Karaca das tragische Ende der Romanvorlage von 1873.

Vincent Mesnaritsch hat vor das Hackschnitzellager, in dem gespielt wird, einen schlichten, stylishen Bühnenkasten gebaut, umspannt von einem Plastikvorhang. Der lässt sich beiseite schieben und gibt den Blick ins leere Innere frei - so leer wie es auch in vielen Figuren aussehen dürfte - oder auf den Wald dahinter. Immer wieder kommen Spieler zwischen den Bäumen hervor. Auch die großartigen Musikanten von Kofelgschroa, wenn sie ihre Liedlein trällern, die je nach Situation brutal oder träumerisch wirken. Die Figuren tragen Kostüme in Signalfarben, giftiges Grün, grelles Rot. Sie sind Individuen und doch Teil der gleichen Farbpalette.

Vor allem aber ist Karacas "Geierwally" durch und durch getragen von seiner Titelheldin. Nie verliert er sie aus dem Fokus. Nie verliert sie Stolz und Würde in einer sexistischen Welt, in der sie sich buchstäblich die Typen vom Leib halten muss. Weil die sie entweder angreifen oder begrapschen wollen. Karaca gelingt so ganz nebenbei ein Stück über Emanzipation. Eine fantastische Sophie Schuster spielt darin eine Geierwally in all ihrer sensiblen Wildheit. Sie tobt, sie trotzt, sie fühlt. Das Herbe liegt Schuster dabei genau so gut wie ihrem Regisseur. Nie verkommt das Rohe zur Fratze, nie verpufft die Spannung in der kalten Sommernacht. Welch Glücksfall.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: