Theater:Horror hinterm Vorhang

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Plastikplanen trennen die Schauspieler (hier Mauricio Hölzemann) im Bühnenbild von Elisabeth Pletzer vom Publikum. "Das blaue blaue Meer" ist nicht in Sicht. (Foto: Gabriela Neeb)

Nach dreijähriger Regieassistenz stellt sich Philip Klose mit seiner eigenen Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns Sozialdrama "Das blaue blaue Meer" am Volkstheater vor

Von Petra Hallmayer

Sozialen Wohnungsbau nennt die Politik die Siedlung. Gefühlt ist sie ein riesiger "Sarg aus Steinbeton", ein asoziales Gefängnis. Darko will nur eines: "Weg, weg, weg." Der einzige Ausweg, den er sieht, ist der Tod. Dann steht plötzlich Motte vor ihm, die davon träumt, nach Norwegen zu fahren, wo die Sterne hell leuchten und das Meer blau ist, und für einen Moment denkt Darko: "Alles wird gut." Natürlich wird gar nichts gut in Nis-Momme Stockmanns Sozialdrama, das der junge Philip Klose im Volkstheater inszeniert hat.

Die Bühne ist mit matt durchsichtigen Kunststoffbahnen verhängt, hinter denen die drei Schauspieler in hautfarbener Unterwäsche vor Stangen mit Kleiderbeuteln stehen. In fließendem Rollenwechsel schildern sie den Horror, der ihr Alltag ist, eine Welt, in der Männer ihre Frauen anzünden, Väter ihre Töchter missbrauchen, Jungen sich ins Koma saufen und Mädchen vom Dach in den Tod springen. Stockmanns Stück ist voller böser Klischees, aber manchmal sind Klischees ja wahr. Hier hat keiner eine Chance. Im Halbdunkel ertönen kapitalistische Motivationsphrasen, die wie Hohn klingen: "Jeder kann alles erreichen. Wenn er nur will."- "Scheitern ist keine Option."

Klose vermeidet es, das Elend zu illustrieren, jeden Anflug von Sozialrealismus. Das ist verständlich. Allein die Wahl des Bühnenbildes (Elisabeth Pletzer) erweist sich als eine sehr unglückliche Entscheidung. Die Bahnen, die beständig verschoben werden, öffnen sich immer wieder an verschiedenen Stellen, meist aber erlauben sie uns nur einen milchig trüben Blick auf die Figuren. Wenn es Kloses Intention war, die Abgegrenztheit des Problemviertels, unsere Distanz zu den Menschen darin zu verdeutlichen, dann funktioniert das zu gut. Tatsächlich bleibt man als Zuschauer auf Abstand, geht einem das, was da zu hören ist, kaum einmal nahe.

Stockmann erzählt in "Das blaue blaue Meer" schlichte, todtraurige Geschichten. Klose setzt auf symbolhafte Verfremdungen und Abstraktionen, dabei jedoch zerfleddern die Geschichten. Vielleicht war der Druck, sich in seiner Abschlussinszenierung als Regieassistent durch ungewöhnliche Ideen zu profilieren, zu groß. Nachdem sich die kleine Ulrike umgebracht hat, werden ein Hemdchen und eine Perücke in einen Kleiderbeutel gesteckt und dröhnend vakuumiert. Die Figuren irren zwischen den aufgehängten Beuteln herum und schieben sie aktionistisch vor und zurück. Sarkastisch kommentiert der ein wenig zappelig überambitionierte Mauricio Hölzemann die Gruselszenen aus der Siedlung.

Doch wenn Darko und Motte sich tastend einander annähern, spürt man, was möglich gewesen wäre. Wie sie ihn scheu anlacht, ihre Augen einander suchen und ausweichen, sie sich an ihn schmiegt und er schließlich zögernd die Hände auf ihren Rücken legt, das ist wunderbar unsentimental berührend. Jonathan Müllers versehrter, in sich gekehrter Kampftrinker Darko und Lavinia Thelen Nowaks stachelig liebenswerte Motte als zwei Verlorene, die sich für kurze Zeit Hoffnung schenken, sind ein schönes Paar, dem man gerne einmal länger zugeschaut hätte. Dummerweise aber verschwinden sie immer wieder hinter den Vorhängen. Gegen Ende tritt Jonathan Müller nach vorn und hält einen zornigen Monolog über Armut in Deutschland und im reichen München und fordert uns auf, endlich hinzusehen. Eigentlich hätte dieser Theaterabend ja unsere Augen dafür öffnen können. Nur leider war die Bühne verhängt.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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