Theater:Halb geglückt

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"Die letzte Karawanserei" im Metropoltheater

Von Christiane Lutz, München

Die gute Nachricht zuerst: Hier sind kühne Künstler am Werk. Die schlechte Nachricht ergibt sich daraus recht logisch: Diese Kühnheit mündet nicht immer in geglückten Szenen. Für "Die letzte Karawanserei" am Metropoltheater hat Regisseur Jochen Schölch etwas gewagt, vor dem sich viele andere Theatermacher, die "was mit Flüchtlingen" haben wollen, drücken: Er hat richtige Szenen statt dokumentarischem Monologisieren inszeniert. Er hat den Grenzzaun aufgebaut, an dem Verzweifelte rütteln. Er schickt ein Schleuserschiff auf der Bühne hin und her, begleitet vom Lärm tosenden Wassers. Und er hat die Taliban mit Bärten und Kaftanen ausgestattet, so, wie die Taliban eben herumlaufen. Es gibt handelnde und sprechende Figuren, die jetzt gerade fühlen und nicht nur darüber berichten. Alles ist konkret in Schölchs Bearbeitung von Ariane Mnouchkines Theaterstück. Die französische Regisseurin und Autorin hat zwischen 2001 und 2003 mehr als 400 Interviews mit Flüchtlingen aus den Krisenherden der damaligen Zeit geführt: aus Iran, Tschetschenien, Afghanistan.

Aus dieser Entscheidung zum Konkreten entstehen eine Handvoll ergreifender Momente und schauderhafter Bilder. Die iranische Frau, die nach ihrer Flucht ihren daheimgebliebenen Vater anruft, der, hinter einer beinahe durchsichtigen Wand von ihr getrennt, nur stumm die Lippen bewegt am anderen Ende der Welt. Das georgische Flüchtlingsmädchen, das an der türkischen Grenze in einen scheinbar leeren Transporter steigt - und durch einen klugen Lichtwechsel starren plötzlich zehn weitere Flüchtlinge von der Ladefläche des Transporters hervor. Bilder, wie sie die Fantasie eines Mitteleuropäers ohne Fluchterfahrung wohl nicht hinbekäme. Wieder einmal erstaunlich, was dieses winzige Theater aus Bühne und Technik herauszuholen vermag.

Allerdings: Wie jeder Versuch einer Abbildung riskiert auch diese Inszenierung, dass das entstehende Bild zu schwach oder, und das ist hier der Fall, viel zu überladen sein kann. Schölch und sein Ensemble haben sich mitreißen lassen von der Anteilnahme am Schicksal geflüchteter Menschen. Und obwohl Empathie auch im Theater dringend wünschenswert ist, entstehen leider zu viele plakative Momente, hart am Kitsch vorbeischrammend. Am Ende des Abends treten die Schauspieler an den Bühnenrand und blicken betroffen bis anklagend direkt ins Publikum. Natürlich ist jedem Zuschauer klar, was sie damit sagen wollen, nämlich: "Jeder Mensch hat eine Geschichte, also kümmert euch gefälligst umeinander!" Das Ganze aber auch noch mit einem schauderhaft-pathetischen "The Sound of Silence"-Cover der Metal-Band Disturbed zu unterlegen, lässt einen seufzend an eine stinkfade Binsenweisheit denken. Richtig: Weniger ist manchmal mehr.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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