Theater:Griechisches Allerlei

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Griechen, Krisen und Antike - in diesem Stück geht alles auf eigenwillige Art zusammen. (Foto: Kai Wido Meyer)

"Das große Wundenlecken" im Augsburger Theater

Von Florian Welle, Augsburg

Bislang hieß es zur Saisoneröffnung am Theater Augsburg immer "Hereinspaziert". Das ist nicht mehr möglich. Im Juni wurde das Große Haus aus Brandschutzgründen endgültig geschlossen. So lud man zunächst zu einem "Herumspaziert" ein, vor der Brechtbühne gab es Essen und Musik. Hauptgesprächsthema war natürlich die seit Monaten intensiv geführte Debatte um die Sanierung des Theaters. Überall hingen Plakate, die einen schon einmal auf die kurzfristig gefundenen Ersatzspielstätten einstimmen sollten. Es sind stolze sieben, verteilt auf die ganze Stadt, von der Schwabenhalle bis zur Stadthalle Gersthofen. Die Theatergänger werden also ab dieser Spielzeit wieder einmal miterleben können, wie es um die Improvisationskünste des Theaters bestellt ist. Schon vor dem Bau der Brechtbühne ist man ja auf andere Orte wie etwa das Textilmuseum ausgewichen. Nimmt man nun die erste Premiere als Maßstab, dann lässt sich nach heutigem Stand konstatieren, dass das Haus diesbezüglich nichts verlernt hat.

"Das große Wundenlecken" heißt das Stück, das Gerasimos Bekas eigens für Augsburg geschrieben oder genauer gesagt: gemeinsam mit der Regisseurin Sapir Heller auf den Proben entwickelt hat. Der Deutsch-Grieche Bekas, Jahrgang 1987, und die gebürtige Israelin Heller, Jahrgang 1989, sind ein eingespieltes Team, schon zum dritten Mal arbeiten sie zusammen. "Mir macht das große Freude, so zu arbeiten", sagt Bekas, "auch weil es mir viel mehr Freiheit beim Schreiben gibt." Das Stück ist eine Tour de Force durch die Geschichte der deutsch-griechischen Beziehungen seit der Regentschaft des Wittelsbachers König Otto bis heute. Es handelt von Ouzo und Rezina, von Antikenkult, dem Europamythos und Schlagerklischees, aber auch von der gewaltsamen Okkupation des Landes durch die deutsche Wehrmacht.

Spaß und Ernst sind hart gegeneinander montiert, wechseln zum Teil sekündlich, was auch die Fallhöhe des Stückes ausmacht. Schon die Ausgangsidee vermischt beides: Da überall "Krise, Krise, Krise" ist - Flüchtlinge, Terror, Klima, Spardiktat - hilft nur die uralte Heilmethode des Marmoryoga. Gelehrt wird sie von Yoga-Yiannis - die Anspielung auf Ex-Finanzminister Varoufakis ist natürlich rein zufällig. Marmoryoga ist beinhart, seine Atemtechnik besteht vor allem darin, möglichst viele Zigaretten in kurzer Zeit zu rauchen. Erleuchtung? Nicht garantiert.

Das finden auch Henrike, Artemis und Walter bald heraus, die Teilnehmer des Kurses. Vieles ist hier Schwindel, Blase, Fake. Yoga-Yiannis stammt nicht aus Griechenland, sondern aus Argentinien. So einiges von dem, was er mantraartig vor sich herbetet, ist falsch. So etwa die Behauptung, Hitler hätte das Augsburger Theater erbaut. Man muss als Zuschauer genau hinhören, was einem da alles aufgetischt wird, denn Lüge und Wahrheit geben sich hier genauso die Hand wie Sinn und Unsinn. Dass das Ganze, von ein paar Längen abgesehen, funktioniert, liegt an den Schauspielern. Ihnen hat Sapir Heller ein ziemlich verschrobenes Bewegungsrepertoire verordnet, das zwischen grotesken Marmorstatuen mit Verve ausgeführt wird: "Mach mir den Herakles! Mach mir den Onassis. Mach mir das Soufflaki!" Allen voran Sebastián Arranz als Guru in Walle-Walle-Kleidern, mal esoterisch säuselnd, mal diktatorisch brüllend, spielt sich ins Gedächtnis. Der Start in eine schwierige Saison, er ist geglückt.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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