Theater:Ein Kini für Rio

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Bei einem Stipendienaufenthalt in der Villa Waldberta begeisterten sich brasilianische Theatermacher für Ludwig II. Zu sehen ist das Stück in der Pasinger Fabrik

Von Nastasja Dresler

Aufgebahrt wie ein Leichnam scheint der Mann, der auf dem Tisch in der Bühnenmitte liegt. Rechts und links hinterfangen ihn zwei Vorhänge aus Glühbirnen. Ihr modriges Licht und die schummrig-psychedelischen Klänge, die durch den Raum schwingen, entrücken die Szene ins Traumhafte. Ein paar zögerliche Wasserschlieren, eine Multimediaprojektion, bespielen den Hintergrund. Da beginnt sich der Mann zu winden, seine Verzweiflung kundzutun, beinahe scheint es, als habe er eine Todesvision, als wolle er sich schon in den friedlichen Schoß des Elements begeben, von welchem aus er endlich dem Licht, der Erlösung entgegen gehen kann. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser." Der Prolog zitiert die Genesis. Der Mann auf dem Tisch ist Ludwig II., und das emotionale Martyrium, das er von dieser Minute an durchlebt, wird auch durch eine elektronische Wagner-Vertonung nachgebildet.

Dieser eineinhalbstündige Gefühlsrausch und Glaubenskonflikt ist das Ergebnis einer brasilianischen Produktion, die in diesen Tagen auf der Bühne der Pasinger Fabrik zu sehen ist. Das Stück wurde von der Artesanal Cia de Teatro aus Rio de Janeiro während eines dreimonatigen Stipendienaufenthalts im internationalen Künstlerhaus Villa Waldberta erstellt. Am Starnberger See begab sich die in Brasilien renommierte Theatergruppe auf die Spuren des Märchenkönigs. Das Stück soll im Anschluss auch in der Heimat aufgeführt werden, wo man den verschrobenen König eigentlich nur als Bauherrn phantastischer Schlösser kennt. Doch wie kommt eine brasilianische Theatergruppe dazu, ein Stück über den bayerischen Kini zu schreiben? Dramaturg Gustavo Bicalho ist ganz vernarrt in die Geschichte vom Märchenkönig. Die Anregung hierzu lieferte Luchino Viscontis "Ludwig". Seither interessiert er sich für den Menschen hinter dem Mythos. Bicalho will sich nicht neben die vielen allegorischen Darstellungen einreihen, sondern die Gefühlswelt des Königs einfangen und ergründen, was diese tragischer Figur schließlich in den Wahnsinn und in den Freitod trieb.

Es ist der liebende Ludwig, der auf der Bühne Zeugnis über seinen Versuch ablegt, seine Homosexualität zu verdrängen. Ludwig, eindrucksvoll gespielt von Manoel Madeira, verlobt sich mit seiner Cousine Sophie (Dai Fiorati), doch verliebt sich in den Staumeister Richard Horneck (Andreas Mayer). Der festen Überzeugung mit der Liebe zu einem Mann eine Sünde zu begehen, zerbricht er an seiner Schuld. Die Botschaft des Stückes lautet jedoch: Man kann nur gegen sich selbst sündigen, nicht gegen Gott; das Unglücklich-Sein ist die größte Sünde - und keine Religion die einzig wahre. "Die Türen sind offen" sagt ein Wesen zum Schluss. "Du brauchst bloß hindurchgehen." Und dann wird man sehen, was kommt.

"Ludwig/2" ist hoch aufgehängt. Doch zuweilen irritiert die insgesamt stimmige Inszenierung. Dass Sophies Part, der von der portugiesischsprachigen Schauspielerin übernommen wird, nach deutschen Untertiteln verlangt, ist ein Behelf und stört die Choreografie. Einige moderne Interpretationen, wie Ludwig als Disco-Rocker, der zu Techno-Beats seine Neigungen erkundet, sind ein Bruch, der in dem enthüllenden zweiten Akt "The Wandering Lust" aber ganz bewusst angelegt und durchaus effektiv ist.

Die schier endlosen aber eingängigen Musikstrecken erscheinen wiederum nötig, um den Zuschauer für die Ausmaße der Verzweiflung zu sensibilisieren. So verleiht das brasilianische Temperament des Ensembles diesem Ludwig-Porträt eine völlig neue Dimension. Und in der Liebe zur Sinnlichkeit und Volksgläubigkeit, so Bicalho, seien Brasilien und Bayern doch ganz nahe beieinander.

Ludwig/2. Ein fremder Blick auf den Mythos. Inszenierung von der Artesanal Cia de Teatro aus Rio de Janeiro, Kleine Bühne Pasinger Fabrik, Samstag, 13. Juni, 20 Uhr, Sonntag, 14. Juni, 19 Uhr

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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