Theater:Durch den Gullideckel

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In der unteren Etage müssen die Schüler in der etwas humorlosen Paukertragödie "Klassenkämpfe" von Ruth Johanna Benrath hausen. (Foto: Henning Rosenbusch)

Ruth Johanna Benraths Stück "Klassenkämpfe", in Coburg soeben uraufgeführt, ist längst überholt

Von Florian Welle, Coburg

Was heutzutage als jung gilt, ist relativ. Man muss es nicht gleich als Ausdruck von Jugendwahn ansehen, wenn eine Endvierzigerin wie Ruth Johanna Benrath für ihr Stück "Klassenkämpfe" den ersten Preis des "Coburger Forums junger Autoren" erhält. Aber wundern darf man sich schon. Jung, so die einzige Erklärung, heißt bei dem neu ins Leben gerufenen und mit einem Preisgeld von 6000 Euro dotierten Wettbewerb des Coburger Landestheaters wohl: am Beginn der Laufbahn als Dramatiker stehend. Das trifft bei Ruth Johanna Benrath mehr oder weniger zu. Seit 2007 schreibt die gebürtige Heidelbergerin als freie Autorin, zwei Romane stehen bisher zu Buche, ihr letzter "Wimpern aus Glas" ist im Suhrkamp-Verlag erschienen. Ebenfalls bei Suhrkamp sind ihre Theaterstücke verlegt worden. Neben "Klassenkämpfe" sind das "Frankfurt/Oder, Frankfurt/Main" sowie das Kinderstück "Der Junge bei den Fischen".

So weit, so gut. Wirklich problematisch wird es erst, wenn man Benraths Stück "Klassenkämpfe", das am vergangenen Wochenende in Coburg uraufgeführt wurde, an der vom Wettbewerb ausgelobten Forderung misst, "Themen aus der aktuellen Lebenswirklichkeit Jugendlicher aufzugreifen". Benraths Thema ist der Konflikt zwischen Lehrern und Schülern. Das ist insofern aktuell, weil es zeitlos ist. Keine Generation, die nicht mit Autoritäten über Kreuz läge. Auch keine jüngere Generation, die in der Pubertät nicht mit Drogen experimentierte. Aber sonst?

Das Setting von Benraths Stück hat ansonsten eher wenig gemein mit dem Alltag heutiger Schüler. Ist mehr 80er- oder 90er-Jahre und zeigt, dass die Dramatikerin eben doch schon Jahrgang 1966 ist und länger keine Schule mehr von innen gesehen hat. Im Mittelpunkt ihrer angestaubten, irgendwie auch recht humorlosen Paukertragödie steht der Latein- und Geschichtslehrer Fischer, ein Alt-68er, wie er im Buche steht: verständnisvoll und anbiedernd; natürlich Adorno-Kenner. Das Problem ist nur, dass sich der Großteil dieses Lehrertypus mittlerweile in Rente befindet. Die vier Protagonisten wiederum, die die Dramatikerin stellvertretend für eine ganze Schulklasse gegen Fischer in Stellung bringt, kennen nicht den Druck des G 8. Kennen keinen Migrationshintergrund. Vor allem kennen sie keine Smartphones; Social Media scheint für sie ein Fremdwort zu sein.

Dafür kloppt der sympathisch linksalternativ angehauchte Marcel Ton Steine Scherben-Slogans. Dafür legt das Gothic-Emo-Manga-Rap-Girl Bea Tarotkarten, während sie die Söhne Mannheims hört. Kurz: Das Stück dürfte heutige Schüler kaum freiwillig ins Theater locken. Aber hat nicht genau darum das Coburger Landestheater den Preis "Forum junger Autoren" ins Leben gerufen? Um spannendes Theatermaterial für ein jüngeres Publikum zu generieren?

Für die Uraufführung zeichnet Judith Kuhnert verantwortlich. Zusammen mit der Ausstatterin Carola Volles hat sie ein rattenscharfes Bühnenbild aus zwei Etagen entworfen: Die Schüler hausen unten und kriechen durch Gullideckel nach oben ins Klassenzimmer. Die vier nun wirklich jungen Schauspieler Eva Marianne Berger, Karina Pele, Ingo Paulick und Oliver Baesler liefern neben Fischer-Darsteller Thomas Straus schweißtreibendes Verausgabungstheater, das ein zeitgemäßeres Stück als "Klassenkämpfe" verdient gehabt hätte.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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