Theater:Die Schrillen und die Stillen

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Der Tod steht ihnen gut: Julia (Kristin Steffen) und Romeo (Thomas Brandt) in dunkler Vorahnung. (Foto: Krafft Angerer)

Zwei Produktionen vom Schauspiel Köln eröffnen das Festival "Radikal jung"

Von christiane Lutz und egbert Tholl

Publikumsgespräche sind wie Überraschungseier. Man weiß wirklich nie, ob nur ein langweiliges Basteldings rauskommt oder ein begehrtes Figürchen. Zu "Radikal jung" gehören die Publikumsgespräche jedenfalls schon immer dazu, so auch bei der 14. Ausgabe des Festivals, das am Samstag am Volkstheater startete. Und nach dem ersten Wochenende ist klar: Manchmal erlebt man in den Publikumsgesprächen das eigentlich Spannende.

Dabei ist Anta Helena Reckes "Mittelreich" natürlich erst einmal sehenswert. Sehr klug ist ihre Idee, in einer bestehenden Inszenierung der Kammerspiele einfach alle Schauspieler durch schwarze Schauspieler zu ersetzen. Aber erst im anschließenden Publikumsgespräch wird deutlich, warum Reckes Idee der "Schwarzkopie" nicht nur legitim ist, sondern einen wichtigen Beitrag zur Frage nach Rassismus und Diskriminierung an deutschen Theatern leistet.

Es sei doch längst egal, ob ein Mensch schwarz oder weiß sei, er verstehe daher die ganze Aufregung um das Konzept nicht, sagt jemand aus dem Publikum. Anta Helena Recke lächelt müde. Ein anderer wundert sich, dass viele der Schauspieler "ja gar nicht so schwarz" waren - ob das am Licht der Kammerspiele liege? Recke erklärt tapfer, dass es eben nicht egal sei, ob ein schwarzer oder ein weißer Körper auf der Bühne stünde. Obwohl die meisten Wortbeiträge der Zuschauer aufrichtig gut gemeint sind, wird deutlich, wie fern vielen das Thema Rassismus doch liegt und in welcher Blase sie sich bewegen. Recke rutscht immer tiefer in ihrem Stuhl hinunter, ihre Gesprächslust schwindet sichtbar. Dabei kann sie zufrieden sein, denn Gespräche über die Wirkung ihres "Mittelreich"-Stücks sind so aufschlussreich und wichtig wie die Inszenierung selbst.

Deutlich heiterer ging es am Vorabend bei der Eröffnung des Festivals zu. Pınar Karabulut durfte zum dritten und somit letzten Mal eine Regiearbeit zeigen, diesmal Shakespeares "Romeo und Julia", inszeniert am Schauspiel Köln. Romeo und Julia begegnen sich bei ihr auf der wummernden Kostümparty, beide als Tod verkleidet. Sie sind die beiden Nerds, die es auf jeder Party gibt, und die sich immer finden und die irgendwann kichernd in der Küche versacken. Zwei Außenseiter in schwarz und weiß, wo alle anderen Neonfarben tragen. Ein schönes Bild.

Den Ton geben bei Karabulut dann die Schrillen an. Romeo und Julia sind bloß Reagierende in einem Streit, mit dem sie scheinbar nichts zu tun haben. Sie irren und verirren sich im labyrinth-artigen Setting aus beweglichen Plexiglaswänden (Bühne: Bettina Pommer) und werden von Drehtüren an den vorderen Bühnenrand gespuckt. Natürlich ist das nichts bahnbrechend Originelles. Die Amme (Sabine Waibel) als blauhaarige Durchgeknallte, die Mutter (Yvon Jansen) als grelle Schreckschraube und Bruder Lorenzo (Benjamin Höppner) als verhipsterten Tunichtgut zu inszenieren, die Idee hatten schon andere.

Aber sie funktioniert hier. Denn das Schöne an dieser Inszenierung ist, dass Pınar Karabulut nicht wie viele ihrer ironieverliebten Kollegen das komplette Drama zum Scherz erklärt, sondern in den richtigen Momenten innehält. Wenn sich Romeo (Thomas Brandt) und Julia (Kristin Steffen) zur Liebesnacht nur in den Armen wiegen, während der Text von einem (verzichtbaren) Videoeinspieler kommt, ist das berührend. Überhaupt geben Thomas Brandt und Kristin Steffen würdige Dramenhelden ab. Julia ist zur angenehmen Abwechslung hier mal ein freudvoller Wirbelwind, Romeo der altbewährte Stürmer und Dränger. Passt. Radikal ist an dieser Inszenierung einzig der Schluss. Nachdem Romeo in Julias Armen verendet ist, lässt sie ihn liegen und wendet sich mit vielsagendem Lächeln dem Publikum zu. Es ist das Lächeln einer Frau, die sich vielleicht doch nicht umbringen mag.

Vielleicht geht sie jetzt auch einfach etwas essen, was bei "Radikal jung" nicht ganz unproblematisch ist, weil sich die im Volkstheater beheimatete Gastronomie weigert anzuerkennen, dass ein Festival für junges Theater auch eines für junges Publikum ist. Für dieses gibt es Bier zu avancierten Innenstadtpreisen und Rinderfilet für die Hälfte des monatlichen Bafögs. Zumindest während des Festivals sollte das Theater die Versorgung seiner Gäste einfach selbst in die Hand nehmen.

Andererseits spielt das nach "Alles, was ich nicht erinnere" keine Rolle mehr, da man nach dem zweiten Gastspiel des Schauspiels Köln so unterspannt ist, dass der Weg zu jedweden Tresen sehr weit ist. Charlotte Sprenger inszeniert den gleichnamigen Roman von Jonas Hassen Khemiri, der ein Erfolg war, den man aber nach diesem Abend garantiert nicht mehr lesen will. Wenn zwei Stunden Theater schon so wenig geistreich sind, wie soll man da das ganze dicke Buch aushalten? Aber: Dafür kann Sprenger zunächst nichts, außer dass sie sich den Stoff gewählt hat, aus Gründen, die eher schleierhaft bleiben.

Tatsächlich gelingt ihr erst einmal schönes, feines Ensembletheater, das zu Beginn wegen der Fantasiekostümierung eines blümeranten Fremdseins nach Wir-proben-die-Entführung-aus-dem-Serail ausschaut, dann glitzert und schnell seinen Glanz in einem überwölbenden Kunstwillen samt autogroßem Herzobjekt und einem nutzlosen floralen Dings verliert. Dazu spielt einer Klavier oder "Parsifal" auf dem Synthie, was ganz und gar nichts bringt außer der Vertreibung jeder schönen Natürlichkeit.

Es geht um einen Selbstmord, und der Tote wie seine Freundeverwandten erklären, wie es dazu kam, was hanebüchen uninteressant und dumm erzählt wird, aber in ein schmieriges und hart zu ertragendes Pathos verschiedener Schuldzuweisungen und -bekenntnisse mündet.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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