Theater:Die Banalität des Blöden

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Im Gegenlicht lösen sich die Figuren auf, und übrig bleiben leere Popanze eines weitgehend sinnbefreiten Bühnenaktionismus. (Foto: Arno Declair)

Mina Salehpour wagt sich am Münchner Volkstheater an eine Bühnenadaption des Lubitsch-Films"Sein oder Nichtsein" und verheddert sich dabei in verharmlosendem Slapstick

Von Egbert Tholl

Man kann lange darüber diskutieren, dass sich die Theater zunehmend die Stoffe, die sie auf die Bühne bringen wollen, nicht mehr im Kanon der Dramenliteratur suchen, sondern gerne Filme, Dokumentationen, Romane oder auch Ratgeber für die Bühne adaptieren. Dagegen ist zunächst gar nichts zu sagen, außer dass man im Falle eines Scheiterns den Reflex erzeugt, ja hätte man doch einfach ein Stück genommen . . . Mina Salehpour nimmt zwar ein Stück, aber dessen eigenständige Existenz ist reine Chimäre. "Sein oder Nichtsein" ist ein Film von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1942, Nick Whitby schrieb , mit winzigen Veränderungen, das Drehbuch ab und erfreute damit vor ein paar Jahren die Theaterwelt. Doch kann man dies getrost vergessen und sich dem Film zuwenden. Dieser ist in einer Hinsicht reichlich inkommensurabel: Er vereint Komödie und Tragödie zu einer schwarzen Farce.

Warschau, 1939. Eine Truppe schräger Schauspieler probt eine Groteske über deutsche Nazis, die Premiere wird verboten, um die darin Dargestellten nicht zu verärgern. Hilft aber nichts, der Krieg bricht aus, Warschau wird zerbombt und die Schauspieler finden sich unfreiwillig und ebenso tölpelhaft wie bauernschlau wieder im Untergrundkampf gegen die Besatzer. Lubitsch vereint eine Hommage ans Theater, eine Liebeserklärung an Schauspieler (mit all ihren Marotten) mit Krieg und Widerstand. So lustig es bei ihm zugeht, so sehr spürt man die Gefahr. Der Überlebenskampf der Polen ist echt, und Lubitsch visionär: Die Tragödie des Warschauer Ghettos und den Untergang Europas konnte er Ende 1941, als er den Film drehte, nur ahnen.

Nichts davon bei Salehpour. Gut, bei Lubitsch sind manche der Nazis auch Trottel, aber eben furchterregend. Im Volkstheater gibt es keine Angst, nur Kasperei, mag auch Jakob Geßner mit statuarischer Grandezza den Nazi-Körpermenschen geben.

Die Nazis werden zur reinen Tünche, vollkommen verharmlost. Statt dessen klebt Salehpour einen wohlfeilen Ausblick auf das gegenwärtige Flüchtlingsdrama an ihre Inszenierung. Gut, ein Anliegen hat sie also doch, Handwerk indes nicht. Man weiß nicht, will sie Slapstick oder doch etwas erzählen. Jedenfalls stiftet sie, trotz einiger sehr gelungener Szenenübergänge, heillosen Wirrwarr. Und spielten nicht die Schauspieler mit Inbrunst gegen das Schlamassel an, man könnte schier verzweifeln. So freut man sich über Mara Widmann, über Oliver Möller, Leon Pfannenmüller und Pascal Fligg, und wünscht allen beim nächsten Mal einen Regisseur.

Sein oder Nichtsein , Münchner Volkstheater, nächste Vorstellung: 1. Oktober

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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