Theater:Das Bild der Macht

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Der "General" (Tim Werths) und die Hure (Mathilde Bundschuh). (Foto: Konrad Fersterer)

"Der Balkon" erzählt im Marstall vom Scheitern der Revolutionen

Von Egbert Tholl, München

Als "Der Balkon" 1957 von Peter Zadek in London zur Uraufführung gebracht wurde, bekam sein Autor, Jean Genet, Hausverbot, weil er im Vorfeld randaliert hatte. Genet fand sein eigenes Stück bei anderer Gelegenheit "schwerfällig" und "plump", der philosophische Psychologe Lacan sah darin eine "Wiedergeburt des Aristophanes", und am Off-Broadway kam es auf 672 Aufführungen.

Es ist disparat. Beim Lesen der 100 Seiten braucht man Durchhaltevermögen, beim Zuschauen auch, weil man auf Geheiß der Erben, respektive des Verlags, nichts streichen darf. Blanke Idiotie, denn Streichen täte Not. Bis zur Pause auch in der Inszenierung von Ivica Buljan im Marstall des Residenztheaters, so energiegeladen die auch ist, so großartig Juliane Köhler als fluchende Puffmutter und Mathilde Bundschuh als würdevoll kluge Hure auch sind. Die Jungs spielen Spielen. Denn im Bordell "Le grand balcon" dürfen die Bürger Bischof (Christian Erdt), Richter (Philip Dechamps) oder General (Tim Werths) sein, erotische Machtspiele mit der immer selben Hure, eben der tollen Frau Bundschuh, ausleben. Das ist lustig. Dann reden sie viel darüber, das ist langweilig. Von draußen bricht die Revolution herein, der durchgeknallte slowenische Performer Marko Mandić wütet durchs Publikum, führt es nach draußen, wo in einem Fenster des Marstalls Königin, General, Richter und Bischof zu sehen sind, im vollen Ornat und dargestellt vom Puff-Personal.

Mandić klettert nackt und slowenisch die "Internationale" singend die Fassade hoch, und Intendant Martin Kušej hofft, dass er nicht ausfällt, denn dann müsste er einspringen, weil er als einziger am Haus Slowenisch kann.

Der irre zweite Teil ist die Erklärung des ersten: Ein königlicher Gesandter, wieder die überlegene Bundschuh, hat die Idee, wenn die, die als Würdenträger im Puff ihre sexuellen Fantasien ausleben, als solche an die Öffentlichkeit träten, würde die Revolution als gescheitert zusammenbrechen, da das Bild der konsistenten Macht erhalten bliebe. Bild allein reicht. Und der dampfende Polizeichef (Nils Strunk) will wie Franco sein eigenes Mausoleum. Bei Buljan explodiert der Abend in alle Richtungen, ist mal fad, mal rau, alle Schauspieler machen zusammen hervorragend Musik (Dechamps!), Dunkelrock zu Genet-Texten, manche stolpern unbeholfen durch den Text, manche adeln ihn. Letztlich dreieinhalb Stunden Punkrock.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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