Theater Bochum:Vom Sog, den die Konzentration entfaltet

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Zum Ende der Intendanz Anselm Webers inszeniert er am Schauspielhaus Bochum Stücke von Miller und Koltès.

Von Martin Krumbholz

Ein Thema hat der Dramatiker Arthur Miller immer wieder variiert: Der angeblich rechtschaffene Bürger, der den amerikanischen Traum ernst nimmt, sich ein Leben lang abstrampelt, vor allem "für die Familie", die ihm über alles geht, wird schließlich scheitern. In "Alle meine Söhne", dem Stück, mit dem Miller kurz nach dem Zweiten Weltkrieg der Durchbruch gelang, hat der Geschäftsmann Joe Keller Zündkapseln für Kampfjets manipuliert, was zu Abstürzen führte. Der ältere der beiden Söhne dieses Mannes blieb als Pilot im Krieg. Keller gelingt es geraume Zeit, seine Schuld zu vertuschen, doch am Ende bricht seine Welt zusammen.

Womöglich ist so ein Stoff heute aktuell wie lange nicht mehr. Zumal in Michael Schütz' Interpretation der Hauptrolle Joe Keller durchaus etwas Tumbes, Rustikales, fast Trump-förmiges gewinnt. Er trägt allerdings gelbe Hosen zu roten Socken. Man könnte das auch anders spielen lassen, zarter oder subtiler. Andererseits begreift man an diesem Abend besser, am Ende der siebenjährigen Bochumer Intendanz Anselm Webers, was den eher spröden Theatermacher bewegt: Er will, ohne übertriebenen ästhetischen Ehrgeiz, einfach nur packende Geschichten erzählen. In diesem Fall ist ihm das gelungen.

Weber geht direkt auf den Plot zu, malt mit wenigen Pinselstrichen die sieben Figuren auf ein schlichtes Tableau, und siehe da: Es funktioniert tatsächlich. Ohne Grautöne, ohne Extravaganzen, in einem ziemlich sterilen, nichtssagenden Bühnenbild, aber es funktioniert. Nach anderthalb Stunden hat die Story eine Wucht entfaltet, der man sich nicht entziehen mag. Alle Ambitionen, alle Illusionen der handelnden Personen sind gnadenlos zertrümmert. Der überlebende Sohn wollte die hübsche Braut seines Bruders heiraten - aber nichts da! Der Schwager in spe taucht auf und bringt Kellers Schuld zutage. Nicht zuletzt die Energien von Sarah Grunert und Torsten Flassig, die das zerstrittene Geschwisterpaar spielen, geben dem kurzen Abend Feuer. Und nachher beschäftigt man sich nicht mit inszenatorischen Feinheiten, sondern mit dem Gewicht des verhandelten Themas.

Ein grandioser Text, Spannung und am Schluss ein furioser Knall

In eine andere Welt wurde man am Vorabend in der Kammer entführt: in ein afrikanisches Land in den Siebzigern. Es gab ein Stück des 1989 mit wenig mehr als vierzig Jahren verstorbenen Wunderkindes Bernard-Marie Koltès: ein Stück mit dem bizarren Titel "Kampf des Negers und der Hunde", ein Stück also, das vielleicht eben wegen dieses Titels - trotz seiner superben Qualität - fast verloren gegangen ist.

Auch Roger Vontobel hat ein letztes Mal in Bochum inszeniert: anders als Weber ein Regisseur, der sorgfältig an Theatermitteln und seiner Handschrift feilt, der Effekte nicht scheut, sondern schlau kalkuliert, dessen Schwäche gelegentlich darin liegt, Nebenfiguren zugunsten der Protagonisten zu vernachlässigen. Hier hat er vier großartige Schauspieler.

Rassismus lag dem französischen Autor fern: Der sogenannte Neger ist eine Projektion der zwei weißen Kolonisatoren, die im Zentrum des Dramas stehen. Sie arbeiten auf einer Baustelle, die jedoch bald aufgegeben wird. Der Chef (Werner Wölbern) säuft, der Ingenieur (Max Mayer) ist durchgeknallt. Im Affekt hat er einen Afrikaner erschossen. Nun taucht der Bruder des Toten auf, um die Leiche einzufordern. Aber die ist verschwunden.

Alboury, der Bruder, ist der "Neger" des Titels, gespielt von Jana Schulz. Eine weiße Frau spielt einen farbigen Mann: Sie schminkt sich nicht schwarz, sondern noch weißer. Die Blackfacing-Falle wird mit simplen Verfremdungen umgangen, und Jana Schulz ist dank der ihr eigenen, unaufdringlichen Präsenz eine fabelhafte Besetzung für die Rolle eines Mannes, der als Einziger sich nicht zu Tode blamiert. Hinzu kommen ein einsames, aber suggestives Cello (Matthias Herrmann) und eine junge Frau (Luana Velis), die der Baustellenleiter mitgebracht hat, die jedoch - chancenlos - der Attraktivität des lakonischen Afrikaners erliegt.

Ein grandioser Text, der eine untergründig-vibrierende Spannung erzeugt, um sich am Schluss in einem furiosen Knall aus Gewehrsalve, Donner und Feuerwerk zu entladen. Festzuhalten bleibt: zwei spannende Abende zum versöhnlichen Abschluss einer eher nicht so spannenden Intendanz, die eine Ära zu nennen man zögert. Dazu hat es wohl doch zu sehr an markanten Setzungen gefehlt. Anselm Weber wandert nun weiter nach Frankfurt, wo er Oliver Reese beerbt, der seinerseits als Peymann-Nachfolger das Berliner Ensemble leiten wird. Und bevor im Bochumer Schauspielhaus der frühere Kammerspiele-Intendant Johan Simons die Regie übernimmt, bahnt ihm ein Jahr lang der bisherige Chefdramaturg Olaf Kröck, gewissermaßen in der Rolle Johannes des Täufers, den Weg.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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