Theater:Blutiger Protest auf dem Präsentierteller

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"Djihad. Fragmente" erzählt vom Radikalisierungsprozess zweier sich nach Orientierung sehnender Teenager. In Ingolstadt wurde das Stück von Volker Schmidt jetzt - ohne neuen Deutungsansatz - uraufgeführt

Von Florian Welle

Das Pentagon in der Nähe von Washington erklärte Denis Cuspert im Oktober 2015 für tot. Der IS-Terrorist aus Berlin-Kreuzberg, der vor seiner Karriere als einer der bekanntesten Islamisten Deutschlands unter dem Namen Deso Dogg gerappt hat, hätte einen Luftangriff nahe Rakka nicht überlebt. Seit geraumer Zeit jedoch werden aus Sicherheitskreisen Zweifel an seinem Tod laut.

Egal, ob Cuspert nun am Leben ist oder nicht: Sein Lebenslauf steht exemplarisch für die "Generation Dschihad". So hat die FAS-Redakteurin Karen Krüger einen Abschnitt ihres Buches "Reise durch das islamische Deutschland" genannt. Sie zitiert Schätzungen, wonach 32 Prozent der IS-Soldaten europäischer Abstammung sind. Und konkretisiert: "Sie sind jung, die meisten von ihnen zwischen 18 und 29 Jahre alt oder jünger." Warum ziehen so viele junge Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, in den Dschihad? Genau dieser Frage geht auch "Djihad. Fragmente" von Volker Schmidt nach, das am Wochenende am Stadttheater in Ingolstadt unter der Regie des Autors uraufgeführt wurde. Dabei liefert Schmidt in seinem trotz Vor- und Rückblenden recht klassisch gebauten Stück keine neuen Deutungsansätze. Vielmehr erzählt das Drama vom Radikalisierungsprozess zweier sich nach Orientierung sehnender Jugendlicher und bebildert so mit theatralen Mitteln die gegenwärtige Forschung, die im Dschihadismus eine Jugendprotestbewegung sieht. Das Programmheft zitiert die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor: "Entwicklungspsychologisch wollen wir alle in der Pubertät rebellieren, uns auf möglichst krasse Art gegen Familie und Gesellschaft auflehnen."

Im Zentrum stehen Helena und Musa. Sie ist ein wohlstandsverwahrlostes Girlie, er hat bosnische Wurzeln und kommt aus einfachen Verhältnissen. Helenas Vater hat sich früh davon gemacht. Seitdem lebt sie zusammen mit der reichen Mutter und deren ständig wechselnden Partnern. Sie schmeißt das Gymnasium, kifft und klaut. Auch Musa stammt aus einer dysfunktionalen Familie - der Vater ist traumatisiert, verlor im Jugoslawien-Krieg einen Großteil der Angehörigen. Seit kurzem hat Musa dem ziellosen Leben auf der Straße abgeschworen und findet Halt erst in der Moschee, schließlich bei Salafisten.

Als sich die beiden zum ersten Mal begegnen, fetzen sie sich. Doch schon bald kommen sie sich näher. Musa erzählt, dass im Islam die Frau "die Perle" sei, "die es ein Leben lang zu beschützen" gilt. Das gefällt Helena, die sich nach nichts mehr sehnt als nach Liebe und Geborgenheit. Die beiden werden ein Paar. Und sie werden immer radikaler. Die einfachen Gut- und Böse-Wahrheiten der Salafisten liefern die Antworten auf die Frage, die die pubertierenden Teenager umtreibt: Wer bin ich?

In der Gruppe erhalten sie eine fest umrissene Identität, die keinen Zweifel mehr aufkommen lässt. Am Ende schließen sie sich dem Islamischen Staat an. Doch während Helena in Syrien ihre Bestimmung gefunden zu haben scheint, erweist sich Musa als schwächer. Die Beziehung der beiden zerbröckelt. Er will weg aus Syrien und meldet sich bei seinem Freund Laurenz in Deutschland. Der soll helfen, dass beide wieder in die Heimat zurückkehren können. Und ist mit der Situation heillos überfordert, stürzt seinerseits in eine Krise, die auch seine junge Ehe mit Lea bedroht. Hilfe erhofft er sich von der geschiedenen Türkin Meryem, in die er sich verliebt.

Als Spielfläche dient Volker Schmidt auf der Nebenbühne des Ingolstädter Stadttheaters, dem "Kleinen Haus", ein beleuchtetes Karree aus Eisenstangen. Die Schauspieler treten ein und aus, schauen ansonsten als Zuschauer dem Stück zu. Mittels Projektionen verwandelt sich die Fläche mal in eine Moschee, mal in eine zerbombte Stadt oder einfach nur in ein fahrendes Auto, in dem sich Laurenz und Lea streiten. Das ist stimmig, gelungen. Als einziges Requisit dient ein großer Kegel, den die Schauspieler ab und an erklimmen und der sinnbildlich für ihr wackeliges Leben steht, das jederzeit ins Rutschen geraten kann. Das "Kleine Haus" wird seinem Ruf als Experimentierbühne gerecht. Hier können sich die jungen Ensemblemitglieder ausprobieren, von denen vor allem Sandra Schreiber und Marc Schöttner überzeugen. Beide machen durch ihr engagiertes Spiel Helenas und Musas Nöte anschaulich. Solide: Mira Fajfer in ihrer Doppelrolle als Lea und Meryem und Béla Milan Uhrlau als Laurenz. Ihnen zur Seite stehen mit Annette Wunsch als Helenas Mutter und Ulrich Kielhorn als Sheikh Djalal zwei gestandene Schauspieler.

"Djihad. Fragmente" ist ein Stück, das Theater noch als pädagogische Anstalt begreift. Es hilft uns zu verstehen. Und das ist Voraussetzung, um in Zukunft besser zu verhindern, dass junge Menschen sich in radikale Islamisten verwandeln. "Wir müssen angstfrei reden", hat kürzlich der Psychologe Ahmad Mansour geschrieben, "und wir müssen dieses Reden in der Mitte unserer Gesellschaft verankern".

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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