Theater:Auf Rattan gebaut

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Jan Neumann inszeniert Schillers "Don Karlos" am Schauspielhaus Bochum. Eigentlich ist dieser Klassiker ein richtiger Thriller. Hier aber bleibt er fade und vage. Erst kommt der Abend recht textfromm daher, dann hagelt es Regieeinfälle.

Von Martin Krumbholz

Es ist ein Kreuz mit den Klassikern. Da hat der 25-jährige Schiller ein Versdrama geschrieben über einen spanischen Königssohn, der gegen seinen Vater rebelliert - allerdings weniger aus politischen Motiven als deswegen, weil er in dessen zweite Frau verliebt ist. Ein richtiger Thriller ist dieser "Don Karlos", mit finsteren Generälen, schlangenhaften Prinzessinnen, falschen Freunden und sogar ein paar echten. Toll! Aber wie stellt man's praktisch an auf der Bühne? Lässt man alles vom Blatt spielen, und der Zuschauer denkt sich seinen Teil? Kaum möglich, das Werk umfasst 160 Textseiten - sieben Stunden. Oder bürstet man es gegen den Strich, ganz ohne Pathos?

Schließlich erwartet das Publikum heute eine kritische Auseinandersetzung. Der Regisseur Jan Neumann entscheidet sich am Bochumer Schauspielhaus - nicht. Bis zur Pause mag man noch glauben, er habe die textfromme Variante gewählt. Die Figuren, schwarz und hochgeschlossen gekleidet, die Damen in Reifröcken, stehen sich gegenüber und werfen sich ihre gedrechselten Sätze zu, wie's im Buch steht. Die Bühne von Dorothee Curio aber realisiert entschieden ein paar Ideen zu viel. Unten eine Baustelle, oben ein riesiger Spiegel, dazwischen eine steile Schräge, auf die Fotos projiziert werden, zum Beispiel von der Fassade des BND. Einen Thron gibt es auch, es ist ein Rattanstuhl mit einem Aufsatz aus rohem Holz. König Philipp sitzt gern darauf und bewegt lose Blätter, während ein Page kreuz und quer über die Schräge teufelt. Das Thema "Überwachung" und "autoritärer Staat" ist so deutlich bebildert, dass man sich getrost an den Text und die kompliziert angelegten Intrigen halten kann.

Auf einer Digitalanzeige leuchtet trotzig der Spruch: "Ich der König"

Bloß, welche Haltung entwickelt die Regie zu den Figuren? Mit welchen von ihnen sympathisiert sie, mit welchen weniger? Hat jemand wie Philipp, der jeden Freiheitsimpuls unterbindet, noch menschliche Züge? Bei Jürgen Hartmann bleibt das offen, ab und zu scheint der König ins Brüten zu geraten, aber der Panzer obsiegt. Die kaum weniger neurotischen Züge des Kronprinzen werden andererseits von Torsten Flassig nicht so exzessiv ausgespielt, dass sie die Figur - negativ - definierten; wie hat es dieser so impulsive wie politisch desinteressierte Typ überhaupt zum Protagonisten in Schillers Drama geschafft? Wenn er sich mal auf Philipps Rattan-Thron setzt, reichen seine Füße nicht auf den Boden. Einen Tyrannensturz traut man dem Kerl nicht zu. Seinem Freund Posa auch nicht. Daniel Stock steht breitbeinig da wie der Held eines Cowboyfilms, und so sind auch seine Manieren. In der großen Szene mit Philipp - "Geben Sie Gedankenfreiheit!" - schreit er den König hemmungslos an, als habe er es mit einem Bürokollegen zu tun.

Dass die Regie kein Gespür für hierarchisches Gefälle hat, könnte man noch als demokratischen Impuls schönreden. Doch dieser Ansatz wird nicht weiter verfolgt. Stattdessen hagelt es nach der Pause nur so von Regieeinfällen. Auf einer Digitalanzeige leuchtet der Spruch: "Ich der König". Und was tut dieser König, als er einsehen muss, der Königin - entschieden die menschlichste Figur auf der Bühne: Juliane Fisch - mit seinem Untreueverdacht Unrecht getan zu haben? Bei Schiller ruft er den Großinquisitor, der das Polit-Geschäft unbarmherzig zu Ende führt. Hier ruft er die Schauspielerin Bettina Engelhardt, die, knabenhaft gekleidet, die Stelle des Kardinals vertritt. Indes ist der Abend fortgeschritten, der Dialog wird fast komplett geopfert - Ende einer Klassikerinszenierung.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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