Theater:Angst ist Tod

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Aurel Manthei spielt unter Frank Castorf am Residenztheater den Švejk in den "Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg" nach dem Roman von Jaroslav Hašek

Von Egbert Tholl

Zur Begrüßung gibt es erst einmal ein erfrischendes "Moin Moin", und dann wird schnell zur Gewissheit, dass man in Zukunft etwas tunlichst unterlassen sollte: ein Interview führen mit einem Schauspieler, der gerade in Proben mit Frank Castorf steckt. Vor allem dann nicht, wenn man während des Gesprächs mitschreibt. Nach 10 Minuten hat man einen Krampf in der Schreibhand, nach weiteren 15 eine Sehnenscheidenentzündung, die man aber nicht spürt, weil die Freude über die tollkühnen Volten im Hirn des Gegenübers überwiegt. Das ist kein Gespräch, das ist ein Erlebnis.

Aurel Manthei spielt den Švejk, und Frank Castorf inszeniert. Am Freitag haben die "Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg" nach dem Roman von Jaroslav Hašek Premiere im Residenztheater. Es wird der vierte Castorf an Martin Kušejs Residenztheater sein, drei davon hat Manthei dann mitgemacht, darunter natürlich den Baal, den es wegen der Brecht-Erben nicht lange geben durfte, obwohl er so schön war.

Auf der Homepage des Schauspielers Manthei stehen ein paar Worte, die sein Leben beschreiben. Geboren 1974 in Wuppertal - deswegen "Moin" -, Leipzig, Zürich, Residenztheater, Motorräder bauen, Motorräder fahren, Boxen, Holzhacken, Geige/Bratsche. Denkt man an Manthei, wie man ihn vor allem aus den Castorf-Inszenierungen her kennt, leuchtet einen das mit den Motorrädern und dem Holzhacken unmittelbar ein. Aber Geige? "Normal für ein braves Bürschlein aus dem Mittelstand." Das Bürschlein war damals sieben Jahre alt, später tauschte es die Geige gegen ein Schlagzeug, aber noch heute bringt Manthei manchmal seine Kinder mit einem Lied auf der Geige ins Bett. Vermutlich dann, wenn die Mama nicht da ist. Die ist nämlich am Züricher Schauspielhaus fest im Ensemble, da, wo Manthei auch mal war, kennen tun sie sich schon lang, eigentlich seit der Schauspielschule in Essen, wo sie beide den selben Lehrer schätzten. Dann waren sie beide in Leipzig: "Da habe ich den Bagger ausgepackt und sie davon überzeugt, dass es gut ist, wenn wir den Rest gemeinsam gehen."

Ein grandioses Paar, das man erst einmal, behaftet von den Klischees, die man sich ausdenkt, wenn man Schauspieler auf der Bühne sieht, nicht in Einklang bringt. Carolin Conrad hat eine Aura, die einen rührt, betritt sie nur die Bühne. Bei Manthei hat man eher Furcht. Beeindruckt ist man von beiden, und die Wurzel davon liegt eben bereits in ihrer Ausbildung, im Bekenntnis zu Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. "Mit Virtuosität kann man uns jagen." Ja nun, die haben sie eh. Als Handwerkszeug, nicht als Stilmittel.

Da muss man noch einmal kurz zum Holzhacken zurückkehren. Klingt ja zunächst total krass, Holzhacken und Schauspielen, aber: Das fachgerechte Zerlegen von Holz ist eine Kunst, die Können und Fachwissen verlangt. Am besten denke man an eine Aufführung, die Manthei auch erwähnt. In dieser zerlegte Sepp Bierbichler auf der Bühne der Kammerspiele dicke Stämme und ziselierte dabei einen Text über Nazivergangenheit und extremes Unwohlsein. Mit der gleichen Präzision. So, wie Aurel Manthei dann über die Unterschiede der beiden existierenden Übersetzungen des Romans von Hašek spricht, wie er für die alte eintritt, weil diese die Sperrigkeit des Erzählten in der Sprachgestalt wiedergibt, wie er nur über diesen einen, kleinen Aspekt des zu erwartenden Castorf-Furors spricht und man dabei daran denken muss, wie er im Garten seines Häusels am Rand von München selber Holz teilt, so denkt man sich: Dieser Mann lebt, was er sagt, und vielleicht muss er manchmal in den Wald, um für seinen unruhigen Geist eine Stetigkeit zu finden, die er sich ersehnt, aber nicht unmittelbar hat.

"Die Angst vor dem Nichtankommen ist der Tod des Theaters." In einer Zeit, in der viele Theater zauderlich sind und schräg auf die Quote schielen, ragt einer wie Castorf heraus. Der "kleine, zornige Mann aus Berlin" kann Manthei befeuern. Und die Leute, die dabei mitmachen, "fangen an zu fliegen". Das ist der Lohn für extreme Anstrengung. Manthei erzählt vom Probenbeginn. Eineinhalb Stunden spricht Castorf, einen freien Vortrag über den Ersten Weltkrieg, Splittergruppen, Panslawismus, sich im Wochentakt ändernde Verhältnisse, Bündnisse. Dann geht es rauf auf die Bühne, Castorf stellt Bilder, spricht von unten den Text ein, den sich die Schauspieler am nächsten Morgen an der Pforte abholen. Den lernen die dann, oder sie proben wieder, oder sie machen beides, bis sie wirklich alle auf dem Zahnfleisch daherkriechen - so die Vorstellung des Zuhörers - aber halt auch beseelt sind und deshalb den ganzen Wahnsinn mitmachen. Weil es um etwas geht, weil nichts läppisch ist.

Mit keinem anderen Regisseur hat Manthei so oft gearbeitet. Der aktuelle ist sein fünfter Castorf - in Zürich spielte er im "Hofmeister" und in der "Schwarzen Spinne". Lieblingsregisseur? Ja schon, wobei er gar nicht so viele kenne, aber natürlich, er schätze Castorf sehr, weil der eine Liebe habe zu den Geschichten der Menschen. "Mit Castorf ist es immer eine Reise, aber eine, die von Vertrauen geprägt ist." Beim "Švejk" soll die Reise führen zu Einsamkeit und Krieg in den Köpfen . In vielleicht weniger als sieben Stunden.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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