Theater:Achterbahnfahrt durch Angstdeutschland

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Lefty (Mehmet Sözer, links) und Pancho (Eva Bay, ganz rechts) begegnen auf ihrer wilden Fahrt zwei Polizisten in geheimer Mission. (Foto: Daniel Delang)

Nora Abdel-Maksoud macht schrill-rasantes Theater, aber mit Botschaft: In "Sie nannten ihn Tico", das am Volkstheater Premiere hat, führt sie in die Abgründe eines Landes voller Vorurteile

Von Christiane Lutz

Gut, wenn man noch ein Ersatz-Hirn parat hat, falls das eigene vorübergehend nicht mehr arbeitsfähig ist. Nora Abdel-Maksoud hat deswegen zum Gespräch Dramaturgin Nora Haakh mitgebracht, um über ihr Stück "Sie nannten ihn Tico" zu reden, mit dem sie an diesem Mittwoch am Volkstheater Premiere hat. "Ich kann kaum mehr denken momentan", sagt die 32-Jährige, "da muss Nora kurzzeitig mein Gehirn ersetzen. Endproben fühlen sich eben immer wie ein epileptischer Anfall an". Die beiden Noras wirken hochkonzentriert und ein wenig erschöpft, gerade ist der erste Durchlauf auf der großen Bühne einigermaßen geglückt. Abdel-Maksoud ist gebürtige Münchnerin, studierte Schauspiel in Potsdam und arbeitete am Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Nun ist sie zurück in die Heimat gezogen. Sie sagt, sie schätze jetzt die größere Gemütlichkeit Münchens, die den Wahnsinn des Theaters ausgleiche. Denn Abdel-Maksouds Theater ist alles andere als gemütlich. Beim vergangenen "Radikal jung" war sie mit ihrer Produktion "Kings" zu Gast. Ein Abend wie eine Achterbahnfahrt auf dem Rummelplatz, so schnell, so schräg, so grell. Eine Kulturbetriebssatire, die die großen Fragen streifte wie: Womit beschäftigt sich der junge Mensch eigentlich permanent, anstatt die große Revolution anzustoßen? Entweder ließ man sich auf den Wahnsinn ein und erlebte einen ungewöhnlichen Ritt oder man stand mit dem Ticket in der Hand daneben und wunderte sich, welche Bahnen das rasante Gefährt auf der Bühne einschlug. Wahrscheinlich liebt man Abdel-Maksouds Theater oder man mag es gar nicht. Das Volkstheater liebt es wohl, so verpflichtete Christian Stückl die junge Regisseurin im Anschluss ans Festival gleich zu einer eigenen Produktion.

"Sie nannten ihn Tico" wird, das wird trotz der angesprochenen Denkschwierigkeiten klar, eine ähnlich dynamischer Abend werden. Schließlich hat die Regisseurin auch diesmal den Text selbst geschrieben und inszeniert ihn auch. Zwei Typen, Lefty und Pancho, reisen auf der Suche nach Leftys Vater durchs Land, ein schwarzhaariges Baby im Gepäck. Unterwegs begegnen sie skurrilen Vertretern der Angstgesellschaft: Vertreter des prekären Arbeits- und Wohnungsmarkts, der Medien, der konservativen Politik, des Kapitalismus. Im Kern steht die Debatte um das schwarzhaarige Baby und die Angst vor dem Fremden, die es auslöst. Es geht um antimuslimischen Rassismus. Ein heißes Thema, das wissen die beiden, aber eines, das in seiner Aktualität täglich von der Wirklichkeit übertroffen wird. Nora Haakh beschreibt es so: "Es geht uns nicht darum, ob jemand Muslim ist oder nicht, es geht darum, den Blick der Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, der ihn erst zum Muslim macht." Haakh schreibt gerade an einem Buch über die "Islamdebatte im postmigrantischen Theater."

Die beiden Noras haben sich am Ballhaus Naunynstraße kennengelernt, wo sonst. Da, wo das, was man postmigrantisches Theater nennt, seinen Ursprung hatte. Gemeinsam machten sie aus Abdel-Maksouds Diplomarbeit ein erstes Projekt mit dem Namen "Hunting for Trier", in dem zwei Schauspielerinnen aus Versehen den Regisseur Lars von Trier umbringen. Das ist durchaus als Seitenhieb auf die Film- und Theaterbranche gedacht, die - das ärgert die Künstlerinnen - noch immer nicht in der Lage ist, Männer und Frauen gleich zu bezahlen und ihnen gleich interessante Rollen anzubieten. Letzteres ist auch der Grund, warum Abdel-Maksoud nicht ausschließlich als Schauspielerin arbeiten, sondern selbst Figuren erschaffen wollte. In Nora Haakh hat sie eine leidenschaftliche Mitstreiterin gefunden. Die sagt: "Wir haben gemerkt: Es gibt einen Haufen Geschichten, die noch zu erzählen sind am Theater. Machen wir das doch mal." Bereit für den nächsten Looping sind sie auf jeden Fall.

Sie nannten ihn Tico , Uraufführung, Mittwoch, 20. April, 19.30 Uhr, Volkstheater

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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