Theater:Abschiedssause

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Wo macht man eine wahrhaft tragische Figur, wenn nicht im Einhorn-Strampler? Stefan Willi Wang guckt zerknautscht und singt "Radioheads" Song "Creep". (Foto: Marion Bührle)

Mit "Raumstation Sehnsucht" geht in Nürnberg die Ära von Schauspieldirektor Klaus Kusenberg in ihre letzte Runde

Von Florian Welle

Man kann beim Abschied leise melancholisch Servus sagen. Oder man geht nach dem Motto "The Show Must Go On" mit ordentlichem Rums. Das Ensemble des Nürnberger Staatstheaters, das sich nach 18-jähriger Schauspieldirektion von Klaus Kusenberg im Sommer größtenteils in alle Winde verstreuen wird, entschied sich mit "Raumstation Sehnsucht" für Letzteres. Konkret: mit einer sommerlich bonbonbunten Revue - Untertitel: "Songs of Love and Change" - unter der musikalischen Leitung von Bettina Ostermeier und in Szene gesetzt von Patricia Benecke.

Die Handlung der Show ist nicht wirklich der Rede wert, dient lediglich als verbindendes Schmiermittel zwischen den 23 ausgewählten Pop- und Rocksongs von "Voyage, Voyage" über "Fly Away" bis "Final Countdown". Am sogenannten Albrecht-Dürer-Airport Universe wartet eine Handvoll Passagiere auf ihren Flug ins All - es gilt, die Planeten Trappist 1b bis 1h zu besiedeln. Bis das Raumschiff in der wohl nicht wirklich flugtauglichen Form der Nürnberger Leibspeise Drei im Weggla abhebt, heißt es allerdings warten. Und was kann man dabei besser machen als zu singen und zu tanzen?

Bühnenbildnerin Franziska Isensee hat den Weltraumeroberern mit Glitzerbar und einem Planschbecken voller Plastikbälle einen wirklich entzückenden Airport hingestellt und dazu die auch ganze Hydraulik miteinbezogen. Man blickt nun auf drei unterschiedlich hohe, mit Leitern verbundene Ebenen.

Auf der höchsten thront das achtköpfige Airport Lounge Orchestra. Mit ziemlich lässigen Arrangements verwandelt die von Ostermeier unermüdlich vorwärts gepeitschte Band selbst einen Schmachtfetzen wie "Back for Good" von Take That in eine groovende Funk-Nummer. Überhaupt geht bei der musikalischen Zeitreise quer durch die letzten Jahrzehnte alles schwer in Ordnung. Häufig angetrieben von Posaune, Saxofon und Vibrafon hauen die Schauspieler ihre Nummern raus, zeigen ihr gesangliches Talent und Können. Jeder darf einmal.

Elke Wollmann macht sich als "Die Frau mit Honig" (weil sie Bienenvölker ins All verfrachtet) mit Michael Jacksons "Earth Song" Gedanken um den Zustand unseres Planeten. Die wunderbare Josephine Köhler, als "Die Eine" ganz im kleinen Pinken, swingtanzt "Over the Rainbow". Und Stefan Willi Wang, der in den letzten Jahren meist auf die zerrütteten, vom Leben gezeichneten jungen Männer abonniert war, haucht als "Der ganz Andere" verdammt gut und angesichts seines Rollenprofils verdammt passend den Heuler aller Loser schlechthin ins Publikum: "Creep" von Radiohead. Dazu macht er das, was er wohl wie kein zweiter kann: ein zerknautschtes Gesicht wie ein geprügelter Hund ziehen. Dass er dazu noch in einem grandios doofen Einhorn-Strampler steckt, vollendet die Tragik seiner Figur.

Doch wirklich tragisch ist bei dieser Abschiedssause des Ensembles natürlich nichts. Schließlich findet auch "Der ganz Andere" seine Liebe in der hübsch französelnden Bettina Langehein. Und so lassen sich am Ende alle zu minutenlangem Standing Ovations zu ihrer "Voyage, Voyage" in die unendlichen Weiten des Universums schießen, irgendwo hinter den Regenbogen. Nur Frank Damerius und Michael Hochstrasser bleiben auf der Erde zurück. Mit den beiden wird es von Herbst an ein Wiedersehen geben, dann unter dem neuen Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger.

Raumstation Sehnsucht, nächste Aufführung, Sonntag, 10. Juni, 19 Uhr, Staatstheater Nürnberg, Schauspielhaus

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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