Tanzprojekt:Schritt für Schritt zum Selbstbewusstsein

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Hundert Stipendiaten der Roland-Berger-Stiftung haben "Interconnected" erarbeitet. Den großen Auftritt gibt es nun im Prinzregententheater

Von Barbara Hordych, München

Hinfallen ist das eine. Aufstehen das andere. Beides gehört zusammen im Leben, sagt Tanzpädagoge Alan Brooks. Von daher fließen auch beide Elemente in die Tanzchoreografie ein, die er seit August 2017 mit 100 Stipendiaten der Roland-Berger-Stiftung aus ganz Bayern erarbeitet hat - zuletzt im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herrsching. Am 7. April soll es soweit sein: Die Eigenproduktion "Interconnected" hat Premiere vor geladenen Gästen im Prinzregententheater.

"Manchmal ist es eben so, dass man zum Aufstehen Hilfe benötigt, aber auch das ist völlig in Ordnung - und eine Erfahrung, die man tänzerisch darstellen kann", sagt Brooks in der Probenpause. Der gebürtige Engländer, der 1998 als Solist zum Ballett Theater München kam, realisierte in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte mit Jugendlichen. Darunter Kooperationen mit Übergangsklassen, aber auch mit dem Residenz- und dem Gärtnerplatztheater oder der Sarre-Musikakademie. Und jetzt eben mit der Roland-Berger-Stiftung.

Der in München ansässige, global tätige Unternehmensberater Berger rief vor zehn Jahren seine Stiftung ins Leben, die er mit einem Kapital von 50 Millionen Euro ausstattete. Mit dem Deutschen Schülerstipendium fördert sie Kinder von der Grundschule bis zum Abitur, mit ihrem Flüchtlingsprogramm unbegleitete minderjährige Jugendliche. Persönliche Mentoren begleiten sie auf ihrem Lebensweg, ermöglichen eine ganzheitliche Ausbildung, bei der nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung im Fokus stehen. Ein wichtiger Baustein sind dabei die Ferienakademien, in denen die jungen Stipendiaten sich für ein künstlerisches Großprojekt entscheiden können. Das war vor drei Jahren die gemeinsam mit der Bayerischen Staatsoper durchgeführte Umsetzung von Karl Jenkins' Kinderoper "Eloise" oder davor die Musical-Inszenierung "Zauberer von Oss", die 2010 am Gärtnerplatztheater Premiere hatte.

"Aber dieses Mal ist es etwas ganz anderes", sagt der 18-jährige Jonathan. Er hat den Vergleich, ist er doch "Stipendiat der ersten Stunde", war dabei, als 2008 auf einem Fest in der Pinakothek der Moderne die ersten Mädchen und Jungen in das Förderprogramm aufgenommen wurden. Was genau ist in diesem Jahr so entscheidend anders? "Bei ,Eloise' und dem ,Zauberer von Oss' hatten wir ein Werk als Basis, das uns ein Handlungsgerüst vorgab", sagt der Münchner Gymnasiast. Dieses Jahr war hingegen etwas Besonderes, "weil wir das Stück mit Alan selbst entwickelt haben". Das mache viel mehr Spaß, "weil man selber entscheidet, was man macht", sagt der 18-Jährige Haseeb, der ebenfalls im nächsten Jahr sein Abitur in München machen wird. Die beiden gehören zu einer Gruppe von neun Jungen, die verschiedene Facetten von Leon verkörpern, der Hauptfigur des Stücks "Interconnected".

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Das Stück erzählt vom Heranwachsen eines Jungen, mit Höhepunkten und Tiefschlägen und verschiedenen Gefühlszuständen. "Ich habe mich für die Zähigkeit und das Durchhaltevermögen entschieden", sagt Jonathan. Haseeb für die Liebe, andere für Emotionen wie Hass oder Charaktereigenschaften wie innere Stärke. Weil das alles nur mit tänzerischen Mitteln dargestellt wird, haben sie individuelle Schrittfolgen und Soli erarbeitet, die zu den jeweiligen "Aggregatzuständen" passen. "Cool" sei das, erklären die "Boys", ihre anfängliche Skepsis, Tanzen sei nichts für Jungs, haben sie längst überwunden.

Derweil probt Alan Brooks mit den "Ladies": Bedrohliche Musik von Johnny Klimek und Tom Tykwer erklingt, während sich die Tänzerinnen zu ihrem imaginären Publikum umdrehen, in federndem Gang voranschreiten. Wie Jägerinnen oder Kriegerinnen wirken sie, selbstbewusst, die jüngeren wie die Älteren. "Wenn euch das Publikum sieht, muss es ,wow' denken, sie dürfen nicht den Eindruck haben, ,wie niedlich, da kommen die Mädchen'", ruft ihnen der Choreograf aufmunternd zu.

"Klar denkt man zuerst, das kann man doch, laufen und gehen", sagt die 14-jährige Mahsa aus München. Zudem sie auch schon seit zwei Jahren Hip-Hop tanze. Aber das hier sei etwas komplett anderes, einfach großartig. "So einen Tanz habe ich noch nie gemacht und solche Musik noch nie gehört" sagt sie zu den Kompositionen von Philip Glass, Harry Escott und Oscar Araujo, die Brooks später als musikalische Untermalung verwendet, als die jungen Tänzer sich zu einer "Welle" formieren.

Der Höhepunkt an diesem Tag ist dann der Besuch des Stiftungsgründers selbst: Der 80-jährige Roland Berger schaut sich einen Durchlauf des Finales an und beantwortet im Anschluss Fragen seiner Stipendiaten. Warum er die Stiftung damals gegründet habe, will Jonathan wissen. "Weil ich das Gefühl hatte, etwas Gemeinnütziges tun zu müssen. Etwas, was jungen Menschen hilft, ihren Weg gehen zu können", sagt der Unternehmensberater. Die Jüngsten drängen sich um ihn, umarmen ihn, offensichtlich eine Reaktion auf seine warmherzige, sehr zugewandte Ausstrahlung.

"Interconnected" lautet der Titel der Choreografie, die Alan Brooks gemeinsam mit den Stipendiaten erarbeitet hat. Sie handelt von den Begegnungen, Situationen und Herausforderungen im Leben der Jugendlichen von acht bis 20 Jahren. (Foto: Forster/Roland Berger Stiftung)

Später im Gespräch wird Roland Berger erläutern, was ihm durch den Kopf ging, als er seine Stipendiaten sah. "Auch wir waren einmal Flüchtlinge, wenn auch sehr privilegierte", erzählt er. "Ich war sieben, als meine Mutter mit meiner Schwester und mir kurz vor Kriegsende aufs Dorf zog, ins bayerische Egglkofen, in dem mein Großvater Bürgermeister war." Was Angst sei, wisse er sehr gut, erinnere er sich doch an die Besuche der geheimen Staatspolizei des NS-Regimes bei ihnen zu Hause. "Mein Vater war Generaldirektor eines Nahrungsmittelkonzerns. 1938, nach der Reichspogromnacht, trat er aus der NSDAP aus, in den Jahren darauf wurde er mehrmals zu Hause abgeholt und inhaftiert." Wenn Eltern Angst hätten, sei die Angst der Kinder doppelt so groß, auch wenn sie nicht verstünden, was um sie herum passiere, sagt Berger. Diese Unsicherheit in den Umständen habe sich ihm tief eingeprägt. Deshalb sei es ihm so wichtig, Kindern in unsicheren Verhältnissen - einerlei ob aus sozialen Gründen oder aus politischer Drangsal - Menschenwürde, Stabilität und Orientierung zu vermitteln.

Zum Abschluss noch einmal zurück in den Probenraum, zur Fragerunde mit seinen Stipendiaten. "Können Sie uns das Geheimnis verraten, wie es Ihnen gelungen ist, so erfolgreich zu werden?", will einer der älteren Jungen wissen. Berger zeigt ein Schmunzeln. Er habe nie einen Plan verfolgt, versichert er. Sondern jede Aufgabe, die sich ihm stellte, so gut wie möglich erledigt, "das ist immer mein Ehrgeiz gewesen". Was sich letztendlich daraus ergebe, könne man nie wissen. Aber er sei der Überzeugung, dass es immer zu etwas gut sei.

So, wie er überzeugt ist, dass es sich für die jungen Tänzer lohne, vor mehreren Tausend Zuschauern aufzutreten. "Weil ihr lernt, euch dort auf der Bühne zu behaupten, mit einer Leistung, die ihr alle gemeinsam in den vergangenen Monaten erarbeitet habt."

© SZ vom 06.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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