Tanz:Brennende Füße

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Osiel Gouneo (links) und Jonah Cook in "Spartacus". (Foto: Wilfried Hösl)

Osiel Gouneo kommt aus Kuba und tanzte schon als Kind. Jonah Cook ist Engländer und begann viel später. In "Alice in Wunderland" stehen die beiden gefeierten Solisten des Bayerischen Staatsballets gemeinsam auf der Bühne.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Er kreiselt x-mal um die eigene Achse, beiläufig und ganz ohne sichtbare Anstrengung. Währenddessen reguliert er ab und zu das Tempo, drosselt hier ein bisschen die Geschwindigkeit, beschleunigt kurz darauf, um dann kerzengerade, aber geschmeidig zu landen. Wackler? Gibt es bei Osiel Gouneo nicht.

Alle, auch seine Tänzerkollegen, wollen von ihm wissen, wie das geht. Inzwischen beantwortet er diese Frage erst mal mit einem nachsichtigen Lächeln. Er sagt nichts über seine Technik, sondern erklärt: "Ich drehe mich im Rhythmus der Musik. Musikalität hilft einem bei allem." Die meisten Tänzer vernachlässigten den Rhythmus und setzten grundsätzlich zu früh oder zu spät ein. Für Gouneo ist das eine Missachtung des Publikums, das dergleichen natürlich merkt.

"Mit 16 sah ich zum ersten Mal, wie schön Tänzer sind, und was sie alles können", sagt Cook

Der Rhythmus also trägt ihn über die Bühne. Osiel Gouneo, 1991 im kubanischen Matanzas geboren, ist Afro-Kubaner. Seine Instrumente sind die Trommeln. Vor dem Tanz kamen für ihn die Musik, der Gesang. Die Rumba brachte ihm sein Großvater bei.

Für Jonah Cook, seinen Kollegen am Bayerischen Staatsballett, ist die Musik emotionaler Katalysator. Cook, 1993 in Swindon in Südwestengland geboren, zieht alle Blicke auf sich, auch, wenn er als einer von mehreren in der Reihe tanzt.

Das ist, seit Igor Zelensky das Bayerische Staatsballett leitet, eher selten der Fall. Zum Solisten promoviert, tanzt Cook die großen Rollen. Oft sind es dieselben wie Gouneo, seit Beginn der Spielzeit einer der Ersten Solisten am Haus. Den Romeo, zum Beispiel. Aber den ersten großen Erfolg hatten die beiden Tänzer als Antipoden in Yuri Grigorowitschs "Spartacus". Da tanzt Gouneo mit eindringlicher Leidensfähigkeit den rebellierenden Sklaven Spartacus, den der dekadente Römer Crassus demütigt, quält und am Ende tötet.

Cook beschreibt anschaulich, dass ihn vor allem die kraftvollen Sprünge, die er zu absolvieren hat, die ungeheure Macht des Crassus verstehen ließen. Aber mindestens ebenso eindrücklich ist die zynische Verächtlichkeit in seinen Gesichtszügen.

Cook und Gouneo, das sind neben anderen großartigen Tänzern beim Staatsballett, die Hingucker im Ensemble. Cook, blass, rothaarig, schlank, hoch aufgeschossen, introvertiert, schaut einen aus sinnend blauen Augen an, zögert bei manchen Antworten so lang, dass man fürchtet, er habe die Frage nicht gehört. Sein überraschend sonores Lachen lässt auf eine ausgebildete Stimme schließen.

Gouneo, Kind armer Eltern, weicher Blick, ist zierlicher und kleiner als vermutet. An ihm ist alles lässig. Seine weißen Zähne und die Brillantstecker in den Ohrläppchen blitzen, wenn die Sätze aus ihm heraussprudeln.

Gouneo schätzt Zelenskys Praxis, sehr unterschiedliche Tänzer zu engagieren. "Jedes Mal, wenn man das Stück sieht, sieht man etwas anderes." Für Gouneo war beim Einstudieren von Crankos "Romeo und Julia" die Erinnerung an die eigene Jugend wichtig: Als er sich mit 16 das erste Mal verliebte und seiner Freundin mit allerlei kleinen Gesten zu verstehen geben wollte, dass sie das einzig Bedeutende in seinem Leben war. "Es sind die winzigen Details, die eine große Vorstellung ausmachen."

Cook lässt sich von der Musik, von der Atmosphäre im Zuschauerraum tragen. "Wenn ich entspannt bin, wird die Vorstellung gut." Bei seinem Romeo passiere das Wesentliche, unsichtbar für den Zuschauer, im Zusammenspiel mit seiner hinreißend mädchenhaften Partnerin Ksenia Ryzhkova.

Zelensky hat die beiden zusammengespannt und besonders in dieser wunderbaren Paarung einen Treffer gelandet. "It is such a pleasure", schwärmt Cook ein ums andere Mal über den Genuss, mit ihr zu tanzen. Er finde die Sicherheit bei ihr, die er brauche. Ryzhkova hat bei Zelensky bereits mit 18 im Moskauer Stanislawski-Ballett getanzt. Er hatte sie direkt von der Schule weg engagiert.

Cook fühlte sich schon früh von der Bühne angezogen. Gene Kelly und Fred Astaire vor Augen und Swing im Ohr, trat er in Musicals auf. Erst mit 16 begann er, fasziniert von einem Gastspiel des Nederlands Dans Theaters in Birmingham, ernsthaft Ballett zu lernen: "Ich sah zum ersten Mal, wie schön Tänzer sein und was sie machen können", sagt er.

Cook begreift sich nach wie vor als Lernenden - wohl auc,h weil er seine physischen Möglichkeiten realistisch einschätzt. Er weiß, dass er bereits enorm an Kraft zugelegt hat, dass das aber immer noch nicht ganz reicht. An der Royal Ballet School in London musste er im Schnelldurchlauf nachholen, was seine Mitschüler bereits seit dem elften Lebensjahr gelernt hatten. Nach der Abschlussprüfung hat man ihn nicht ins Royal Ballet übernommen, obgleich man sein Potenzial erkannte. "Ich war noch nicht so weit", sagt er. Sein erstes Engagement trat er dann in der Junior Company des Bayerischen Staatsballetts an.

Sowohl Cook als auch Gouneo, der ja bereits als international gefeierter Tänzer engagiert wurde, haben am Staatsballett in wenigen Monaten beispielhafte Aufschwünge hingelegt. Und sie haben so viel dafür gearbeitet wie nie zuvor in ihren Tänzerleben. Jetzt geht es an den Rand ihrer Kräfte beim Endspurt zu Christopher Wheeldons Ballett "Alice in Wonderland". Cook tanzt den Mad Hatter, Gouneo studiert die Doppelrolle des Jack/Herzbuben ein. An diesem Montag ist Premiere.

Cook und Gouneo plagen sich bis zum Umfallen, weil sie Zelensky uneingeschränkt respektieren. Zuallererst schätzen sie seine Weltläufigkeit: "Die Kultur, die Igor in den verschiedenen Kompanien erfahren hat, die bringt er mit ins Studio. Es ist eine internationalere Kultur als die Ivan Liškas", erläutert Cook, der unter Liška von den Junioren ins große Ensemble wechselte, die Unterschiede der beiden Ballettchefs. Der 20 Jahre jüngere Zelensky verkörpere auch ein zeitgemäßeres Tänzerbild als sein Vorgänger.

Liška ließ Cook Zeit, sich zu entwickeln und besetzte ihn so, dass man ihn als großartigen Allrounder kennenlernte, unter anderm in Stücken von Richard Siegal und Pina Bausch. Das alles hat sich gelohnt: Kürzlich wurde er mit dem Konstanze-Vernon-Preis ausgezeichnet.

Osiel Gouneo hat bei Ballettwettbewerben Medaillen abgeräumt, seit er 13 ist. "Ich wollte immer der Beste sein." Heute sieht er sich eher als Teamplayer, als Libero in seiner Mannschaft, an "seinem Haus", der Staatsoper, wo er immer da zur Stelle ist, wo man ihn braucht.

Mit sechs Jahren stand der Junge bereits an der Stange, in Strumpfhosen und weißen Socken. Sein Vater fand, so etwas zögen nur Schwule an - und die waren in Kuba ganz schlecht gelitten. Er solle lieber Fußball spielen. Aber die Mutter, die sich als Literaturlehrerin, Friseurin und Verkäuferin für die Familie abrackerte, fand, er solle es als Tänzer versuchen, zumal darin so wenige farbige Balletttänzer reüssierten. "Das könnte interessant werden", befand sie und riet dem damals Neunjährigen: "Hör nicht auf deinen Vater, sondern folge deinem Instinkt."

"Wenn man etwas nicht fühlt, warum tut man es dann überhaupt?", fragt Gouneo

"Ich hatte diesen Hunger, der dich antreibt und den man haben muss, wenn man jung ist", sagt er. Sein Idol war der kubanische, weltweit gefeierte Ballerino Carlos Acosta. Er sammelte Ballettvideos und studierte ganz allein für sich die männlichen Parts ein.

Als schwarzer Tänzer, der die klassischen Prinzenrollen tanzt, musste er aber erst einmal mit den gängigen Vorurteilen fertig werden, in Kuba und auch anderswo in der Welt. Seit er in München ist, wurde seine Hautfarbe bisher nicht einmal erwähnt. Auch nicht, als er im "Schwanensee" den Siegfried tanzte: "In all den Jahren habe ich immer dafür gesorgt, dass die Leute nicht mehr sagen: ,Oh, er ist schwarz'. - Wir sind keine Farben. Wir sind Menschen!"

Der Tanz ist eine emotionale Kunst. "Wenn man etwas nicht fühlt, warum sollte man es dann machen?", fragt Jonah Cook. Dasselbe hätte auch Osiel Gouneo sagen können. Der Mann mit den "brennenden Füßen", den es nirgendwo lange hält, sieht sich in fernerer Zukunft, wenn das mit dem Ballett zu Ende geht, als Schauspieler. Sein Vorbild ist Denzel Washington. Im Herbst spielt er erst einmal sein Idol Carlos Acosta in einem Film: "Ich möchte die Leute glücklich machen."

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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