Superkunstjahr:Die langen Finger des Gelds

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Großschauen wie die Biennale oder die Documenta waren selten ganz unabhängig von kommerziellen Interessen. Dabei wäre es gar nicht schwer, sich von der Einflussnahme des Markts frei zu machen.

Von Astrid Mania

War das nun gefühlte Wahrheit oder Irrtum? Es war in jedem Fall erheiternd und erhellend, was jüngst in einem Text über die Art Brussels stand: Die Veranstaltung sei weltweit die drittälteste Messe für zeitgenössische Kunst - nach der Biennale von Venedig und der Documenta. Auch wenn das faktisch nicht korrekt ist, irgendwie trifft es trotzdem zu. Die Großausstellungen dieser Welt sind zu ausgelagerten Showrooms einiger, mächtiger Galerien geworden. Vor einer architektonischen Kulisse aus Nachkriegsnüchternheit (Kassel) oder filigraner Opulenz (Venedig) lässt es sich gut verkaufen, zumal die Kunst dort zum Prestige noch wahlweise einen Schuss deutsche Diskursschwere oder Lagunenleichtigkeit dazugewinnt.

Die Kritik, dass sich immer mehr kommerzielle Interessen in die eigentlich unabhängig kuratierten Großausstellungen einschreiben, wird entsprechend lauter. Ausgerechnet bei der letzten, vermeintlich so politischen Biennale von Venedig unter der Ägide von Okwui Enwezor, dem Direktor des Münchner Hauses der Kunst, schwoll der Klagechor besonders heftig an. Aus seiner Schau ragten diverse Künstler prominenter New Yorker Galerien wie Fremdkörper heraus. Es mutete geradezu absurd an, dass der Kurator auf seiner Veranstaltung das Marx'sche "Kapital" verlesen ließ, dem eigentlichen Kapital aber - wenn man es so präneoliberal formulieren will - Tür und Tor geöffnet hatte.

Die Biennale begann als Verkaufsausstellung. Erst nach '68 änderte man die Statuten

Tatsächlich tragen viele Galerien zur Aufstockung der Budgets bei großen und auch kleinen Schauen bei. Enwezor hatte keinen Hehl aus seinem Unmut über die in seinen Augen magere finanzielle Ausstattung der Biennale gemacht. Je nach Erwartungsdruck oder kuratorischer Ambition lassen sich die Ausstellungsmacher von Galerien bei Reise-, Transport- und Produktionskosten unter die Arme greifen. In Venedig, so schildert es Robert Fleck in seiner aufschluss- und anekdotenreichen Geschichte der Biennale, sei dies ausgerechnet seit dem Aufstieg der vermeintlich so unabhängigen Kuratoren gang und gäbe.

1980 hatte sich die Veranstaltung verjüngt und um die neue, von Achille Bonito Oliva und Harald Szeemann kuratierte Sektion "Aperto" vergrößert. Damit habe dort "der Finanzkapitalismus mit einem Schlag" Einzug gehalten. Denn gezeigt wurden "jene jungen Talente, die in den Galerieausstellungen in den USA und Europa seit zwei Jahren in den Vordergrund getreten waren", so Fleck. Dabei hatten die Galerien in Venedig auch vorher schon mitgemischt. In Annika Hossains Dissertation zum amerikanischen Pavillon lässt sich nachlesen, wie dieser in den frühen Sechzigerjahren - von starker Kritik begleitet - zum Hoheitsgebiet und zur "profitablen Marktplattform" einiger weniger New Yorker Galerien wurde.

1970, nach den Studentenunruhen, hatte sich auch in Venedig vieles verändert. Die Biennale war 1895 als kommerzielle Schau an den Start gegangen, "als weltweit wahrgenommene Verkaufsausstellung, als eine von den Künstlern organisierte Kunstmesse, 70 Jahre vor der Erfindung dieses Begriffs mit dem ersten Kölner Kunstmarkt 1967", so formuliert es Fleck. Den Antrieb habe die schlechte Position der venezianischen Künstler auf dem internationalen Kunstmarkt gegeben. Auch hatten sich die Stadtoberen einen touristischen Aufschwung für die siechende Serenissima erhofft - Kunst als Stadtmarketing-Maßnahme ist mitnichten eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Der Protest von 1968 aber wollte die Kunst dem Markt entreißen, und die Biennale reagierte. Die Statuten wurden geändert, und nun war Schluss mit den zehn Prozent, die die Biennale bis dato offiziell pro Verkauf kassiert hatte.

Nun ist es etwas völlig anderes, ob Künstler ihre Werke offen in einer aus ökonomischen Erwägungen heraus gegründeten Ausstellung präsentieren, oder ob Galerien Ausstellungen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, wie bescheiden diese auch sein mögen, für ihre Interessen nutzen. Die Verquickung der Sphären Großausstellung und Markt irritiert zudem, weil die Kunstgeschichte lange Zeit ausgeblendet hat, wie viele bahnbrechende Schauen zum Zwecke des Verkaufs gegründet wurden - so auch die New Yorker Armory Show von 1913, die als Geburtsstunde der Moderne in den USA gilt. Heute nennt sich eine der New Yorker Messen wiederum Armory Show.

Auch die Documenta hat viel zu der Vorstellung beigetragen, dass Großausstellungen marktfreie Zonen sind. Die erste Documenta von 1955, die sich das Belehrende schon im Namen verordnet hatte, war als Nachhilfestunde für das westdeutsche Publikum gedacht. Es sollte den Anschluss an die Moderne wiederfinden, die von den Nationalsozialisten so brutal unterdrückt worden war. Die zweite Documenta wurde zur Durchsetzung der abstrakten Kunst genutzt. Dort traten die amerikanischen Maler mit großer Geste und Leinwand auf: Der Abstrakte Expressionismus galt als Ausdruck intellektueller wie politischer Freiheit. Eine solche heilsgeschichtliche Erzählung musste rein und ökonomisch unbefleckt erscheinen.

Würde man die Ausstellungen bescheidener planen, käme manohne die Hilfe der Galerien aus

All das ist lange her. Heute versenden Galerien Fluten von E-Mails, in denen sie ihren Künstlern wahlweise zur Teilnahme an der Biennale von Venedig oder der Documenta gratulieren und damit ihren Anspruch auf die Werke reklamieren. Die internationale Großgalerie Hauser & Wirth verschickte eine interaktive Karte, die auf einer historischen Stadtansicht von 1565 basiert und die zahlreichen Ausstellungsorte ihrer Künstler verzeichnet, die neuen Sehenswürdigkeiten von Venedig.

Ist dieses Spiel zum wechselseitigen Profit von Handel und Ausstellung, über das der gewöhnliche Besucher bewusst im Unklaren gelassen wird, ein unausweichliches Schicksal, die Fortschreibung einer immer schon ökonomisierten Praxis? Vermutlich ja, solange es alle Beteiligten, also Kommunen, Kuratoren, Kritiker und Besucher, zur permanenten Überbietung zieht. Bescheidenere Ausstellungen könnten auf die Unterstützung durch den Handel leichter verzichten - wobei bescheiden ja schon heißen würde, etwa eine Documenta auf das Bewältigungs-Maß von zwei Tagen herunterzustutzen.

Doch dann müsste auch ein Umdenken in der Politik erfolgen, die immer höhere Besucherzahlen verlangt und damit den Vergrößerungsirrsinn nur noch weiter antreibt. Größe allein schafft keine Relevanz. Und wie schön wäre es, wenn man sagen könnte, man habe eine Ausstellung und alle ihre Werke tatsächlich und in aller Ruhe angesehen. Bis dahin könnten wir vielleicht einmal wieder in die vermeintlichen Provinzmuseen und kleinen Kunstvereine gehen und deren Arbeit honorieren.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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