Streitschrift während der Finanzkrise:Es lebe der Kapitalismus

Lesezeit: 3 min

Friedrich Merz schreibt sein Glaubensbekenntnis und zeigt, warum ihn einige in der Politik schmerzlich vermissen.

"Der Markt ist sozial und der Kapitalismus gerecht." Sätze wie diesen muss man sich in Zeiten der Finanzkrise auf der Zunge zergehen lassen. Es gibt kaum noch einen politischen Beobachter, schon gar keinen Politiker, der es wagt, so einfach und doch so treffend zu formulieren. Friedrich Merz tut es, und er tut es mit Lust und Können.

Friedrich Merz: "Der Markt ist sozial und der Kapitalismus gerecht." (Foto: Foto: dpa)

Der frühere CDU-Spitzenpolitiker hat ein neues Buch geschrieben, mit dem er die Lücke schmerzlich dokumentiert, die er durch sein Ausscheiden aus der Politik hinterlassen hat.

Man muss nicht derselben Meinung sein wie Friedrich Merz, aber dass er einer der wenigen profilierten Wirtschaftspolitiker im Deutschen Bundestag war, und dass er dort fehlt, wird kaum jemand ernsthaft bestreiten. Dass die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel Männer wie ihn, so eitel und selbstverliebt sie auch sein mögen, systematisch aus der Politik gedrängt hat, war ein dramatischer Fehler; er wirft für alle Zeit ein denkbar schlechtes Licht auf sie.

Merz hat sich die Mühe gemacht, sein Weltbild noch einmal zu überprüfen. Er nennt seinen Sohn Philippe, Student der Philosophie, und den Wirtschaftsstudenten Tim Christiansen als intellektuelle Sparringspartner.

Den Menschen nicht nach dem Mund reden

Herausgekommen ist eine 200 Seiten schmale Streitschrift für den Markt und gegen einen überbordenden Sozialstaat. Merz fängt beim Philosophen Platon an, setzt sich mit den unterschiedlichen Gerechtigkeitsbegriffen auseinander, begründet den subsidiären Sozialstaat, rechtfertigt die Aktionärswirtschaft, bricht eine Lanze für die Heuschrecken genannten Finanzinvestoren und streift weitere maßgebliche Themen der Wirtschaftspolitik.

Der gelernte Jurist Merz leitet sauber her, worauf die Marktwirtschaft oder der Kapitalismus, was dasselbe ist, beruhen: eben auf privatem Kapital, dessen Einsatz nach Renditeerwartungen im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern erfolgt. Der Staat gibt die Rechtsordnung vor, in der das Marktgeschehen stattfindet. Er tritt grundsätzlich nicht selbst aus Marktteilnehmer auf.

Seit Ludwig Erhard war dieses Modell in Deutschland überaus erfolgreich und ermöglichte einen gut funktionierenden Sozialstaat für die Schwachen. In der Globalisierung, in der neue, drängende, effizientere und billiger produzierende Wettbewerber auftauchen, ächzt das System in den Scharnieren; es gibt freilich keine erfolgversprechende Alternative.

"Mehr Gerechtigkeit", staatlich verordnet, ist eine höchst populäre Forderung, das weiß auch Merz, und er räumt ein, dass man damit Wahlen gewinnen kann - nicht aber die Zukunft.

Je nach Arbeitsmarktlage sind heute etwa 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ganz oder teilweise auf Transferleistungen aus öffentlichen Kassen angewiesen - wen werden diese Menschen wohl wählen? Verantwortungsvolle Politik aber, sagt der Ex-Politiker Merz, darf den Menschen nicht nach dem Mund reden.

Abrechnung mit der eigenen Partei

Obwohl das Wort CDU selten und der Name Angela Merkel soweit erkennbar gar nicht vorkommt, ist dieses Buch eine Abrechnung mit der eigenen Partei und ihren Machthabern. Es ist lesenswert für alle, die ordnungspolitische Orientierung in turbulenten Zeiten suchen.

Und doch greift es zu kurz - weil es keine expliziten Antworten auf die dramatische Legitimitätskrise des Kapitalismus gibt. Natürlich weist Merz darauf hin, dass die Marktwirtschaft stetig an Zustimmung verliert. Aber das ist noch die alte Lage. Sie besteht im Grunde seit Gerhard Schröders "Agenda 2010"-Politik, die Merz nachdrücklich lobt.

Neu sind die rapide wachsenden Zweifel am Kapitalismus, sogar die Selbstzweifel, wie sie sich als Folge der Finanzkrise ergeben: Das dramatische Marktversagen in dieser Sparte der Wirtschaft, der Abschwung der Wall Street, die staatlichen Rettungsaktionen für Banken können nicht so nebenbei erörtert werden.

Der Autor spricht zwar bereits von einer "partiellen Bankenkrise" und vermutet, das diese auf die gesamte Volkswirtschaft übergreifen und dass dies die Kritik am Kapitalismus "noch einmal verschärfen" könnte, "zumal einige Manager mit ihrer Gier und ihren halsbrecherischen Aktionen auf den Kapitalmärkten zu dieser Kritik geradezu einladen".

Das ist für ein Buch, dessen Manuskript vermutlich vor Monaten abgeschlossen worden ist, durchaus weitsichtig. Leider meidet Merz die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen dieser Zeitenwende: Es gibt Nachbesserungsbedarf für eine Neuauflage.

Bekannte Autoren sitzen Rede und Antwort. Auf dem Blauen Sofa während der Frankfurter Buchmesse.

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: