Spurensuche:Ergreif den Stern

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Ergreif den Stern: Gary Cooper wirft die Macht weg, verlässt mit Grace Kelly die Stadt in "High Noon". (Foto: Arthaus)

Freiwillige Rückzüge - wie bei Bundespräsident Gauck - sind eher selten. Große Ausnahme: Gary Cooper als Sheriff in "Zwölf Uhr mittags".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Um den Rückzug aus freien Stücken geht es in "High Noon"

Was der Bundespräsident Joachim Gauck zu Beginn der vergangenen Woche getan hat, ist nicht nur unter Politikern eine rare Geste: Eigentlich wollen alle, dass er weitermacht - nur er nicht. Meistens bleiben Politiker im Amt, bis die Wählerseele kocht; oder bis sie, irgendwelcher Regeln wegen, tatsächlich nicht mehr antreten dürfen.

Den Moment, in dem einer noch gewollt wird, aber nicht mehr mitspielen will, gibt es im Kino - aber auch da ist er selten. Die berühmteste aller Rückzugsszenen dürfte wohl die sein, in der Will Kane (Gary Cooper) seinen Marshal-Stern in den Staub wirft, am Ende von "Zwölf Uhr mittags / High Noon". Er will schon zu Beginn des Films nicht mehr weitermachen; Gary Cooper war damals bereits ein Star in mittleren Jahren, und er sah auch so aus, und als Will Kane will er nun, mit einer neuen Frau, Amy (Grace Kelly), an seiner Seite, ein ruhigeres Leben anfangen. Amy droht, um zwölf Uhr mittags in das neue Leben abzurauschen, mit oder ohne Will, der das Gefühl hat, er muss vorher noch die Stadt vor einem rachsüchtigen Gangster bewahren, den er selbst hinter Gitter gebracht hatte und der nun, auf dem Mittagszug, zurück erwartet wird. Den Kampf wird er tatsächlich allein durchstehen müssen. Es geht ja um die Rache an Kane, sagen die einen, die anderen sind schlicht zu feige, ihm zur Seite zu stehen.

So kommt es, dass Kane, am Ende, als ihn die Leute aus der Stadt als Held feiern wollen, ans Hemd greift und sich des Insigniums der Macht in einer verächtlichen Geste entledigt. "High Noon" traf 1952 auf sehr gemischte Gefühle: Zuhause in Amerika galt er als Western für Lefties, was der erzkonservative John Wayne mit seiner Ablehnung noch verstärkte; in der Sowjetunion aber war er verpönt, weil er den Individualismus über alles stelle. Der Drehbuchautor, Carl Foreman, war Ex-Kommunist und vors Komitee für unamerikanische Umtriebe geladen worden. "High Noon" galt als Parabel auf die Kommunistenhatz und wurde trotzdem der Präsidenten-Lieblingsfilm, nach Angaben des ehemaligen Vorführers des Weißen Hauses öfter gezeigt als irgendein anderer Film. Dwight Eisenhower liebte "High Noon", wie Ronald Reagan und Bill Clinton. Richard Nixon gehörte nicht zu den Fans - aber der hat seinen Stern ja auch erst zurückgegeben, als die parlamentarische Hand schon ansetzte, ihn herunterzureißen.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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