Soziale Medien:@Alt wie Alternative

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Twitter gegen die US-Regierung: Der Kampf um die Meinungsfreiheit hat in Amerika längst begonnen.

Von Alex Rühle

Schon kompliziert mit der Globalisierung: In Japan wirbt Twitter momentan mit dem Gesicht seines berühmtesten Nutzers Donald Trump, zu Hause in den USA aber hat der Nachrichtendienst soeben eine Klage gegen den Präsidenten und seine Regierung eingereicht.

Das Heimatschutzministerium hatte Twitter am 14. März aufgefordert, die Identität des Betreibers eines Accounts herauszurücken, der ihnen seit Ende Januar ein Dorn im Auge ist: Unter dem Namen @ALT_USCIS ruft der Inhaber dieses Kontos zum Widerstand gegen Trumps Einwanderungspolitik auf und echauffierte sich über Trumps sogenannten Muslim Ban. USCIS ist das Kürzel für United States Citizenship and Immigration Services, also für jenes Ministerium, das genau diese Einwanderungspolitik durchzusetzen hat.

Die Luftaufnahmen von seiner Inaugurationsfeier versetzten Trump in Rage

Twitter weigert sich, der Bitte der Regierung nachzukommen: Solange dem Betreiber keine straf- oder zivilrechtlichen Vorstöße nachgewiesen werden könnten, müssten dessen Identität und sein Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt werden. Jetzt will der Nachrichtendienst prozessieren, um die Enthüllung des Account-Betreibers ein für alle mal zu verhindern. Es geht bei der Sache aber um sehr viel mehr als um ein einzelnes Konto.

Zum einen ist dieser Prozess die vorerst letzte Eskalationsstufe in einem Streit, der am Tag der Machtübernahme begann: Am 21. Januar twitterten Mitarbeiter des National Park Service (NPS) über den offiziellen NPS-Account vergleichende Luftaufnahmen von den Inaugurations-Feierlichkeiten 2009 und 2017, die Bilder rasten um die Welt, belegten sie doch, dass zu Trumps Feier viel weniger Menschen gekommen waren als zu Obamas erster Vereidigung. Kurz darauf wurden auf dem Twitterkonto eines Nationalparks in South Dakota Fakten zum Klimawandel gepostet - Feststellungen wie den Satz, es habe in den letzten 650 000 Jahren noch nie so viel Kohlendioxid in der Atmosphäre gegeben wie heute. Trump aber schäumte, in den Reihen der Nationalparkverwaltung werde an einer Verschwörung gegen ihn gebastelt und befahl dem NPS, alle erwähnten Tweets zu löschen. Außerdem wurde den Mitarbeitern vieler Ministerien und Behörden untersagt, sich ab sofort ohne staatliche Genehmigung zu äußern. Das war die Geburtsstunde der Alt- und Rogue-Accounts auf Twitter.

Alt steht dabei für Alternative, Rogue bedeutet in der harmlosen Version Schlingel, es kann aber auch ein Schurke sein, seit Georges W. Bushs Amtszeit kennt jeder den Begriff des Schurkenstaats (rogue state). @AltNatParkSer, der Doppelgänger-Account der Nationalparkverwaltung, hatte nach zwei Tagen eine Million Follower, es folgten ähnliche Konten für nahezu alle Ministerien und Behörden, die meist auch das offizielle Logo der jeweiligen Regierungseinrichtung benutzen und aber die Politik ihrer Ministerien und der Regierung scharf kritisieren. Die Digitalberaterin Alice Stollmeyer fasste unter dem sprachlich etwas plumpen Hashtag "twistance (ein Neologismus aus Twitter und resistance, also Widerstand) bereits Ende Januar über 40 solcher Konten zusammen.

Manche Accounts behaupten, mitten aus dem Weißen Haus zu twittern

Brisant sind diese Accounts natürlich, weil ihre Betreiber behaupten, Mitarbeiter der jeweiligen Behörde zu sein und ihre Accounts als offenen Widerstand gegen eine in ihren Augen vollkommen inkompetente Regierung bezeichnen. Es gibt auch Accounts, die zumindest behaupten, mitten aus dem Weißen Haus zu twittern, der bekannteste dürfte @RoguePOTUSStaff sein, der regelmäßig brisante Insiderinformationen über Machtkämpfe zwischen einzelnen Regierungsmitgliedern leakt und ein verheerendes Bild von Trumps Inkompetenz, Launenhaftigkeit und an Verwahrlosung grenzender Faulheit zeichnet.

Im Prozess um die Daten des Betreibers hinter @ALT_USCIS sprang die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) Twitter sofort zur Seite. "Das Recht, sich anonym über die Regierung zu äußern, wird klar von der Verfassung gedeckt", schrieb der ACLU-Anwalt Nathan Wessler. "Wir freuen uns deshalb, dass Twitter die Rechte seiner Nutzer schützt." Die ACLU hat schon angekündigt, den Betreiber des ALT-USCIS-Accounts vertreten zu wollen, auch weil sie davon überzeugt sind, dass dies nur der Anfang ist: "Die Regierung muss eigentlich starke juristische Argumente in der Hand haben, wenn sie die Aufhebung der Anonymität fordert. In diesem Fall aber hat die Regierung kein einziges inhaltliches Argument für ihre Forderung angeführt, weshalb wir glauben, dass es in ihnen vor allem darum geht, abweichende Meinungen prinzipiell zu unterdrücken."

Die großen Digitalfirmen schauen sehr gespannt auf diesen Prozess, kaum auszudenken, was passieren würde, wenn Twitter verliert. Der ALT-USCIS-Account hingegen freut sich fürs erste: Die Berichterstattung über den Prozess brachte ihm innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 000 neue Follower ein. Und die Anzeigenkampagne in Japan soll dem Vernehmen nach sehr bald auslaufen.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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